ohn hat geschrieben:Ich suche nicht den ultimativen schlüssel, sondern hilfen und praktische übungen, um die genannten eigenschaften zu leben.
Das spiel mit der standpunktverlagerung ist mir wohl bekannt und auch ich spiele es oft und gerne. Ich spreche hier aber nicht von harmlosen alltagsgefühlen, sondern von emotionen, die durch die bewertung als massiv gefährlich und existenziell bedrohlich erlebt werden, wie z.b. hilflosigkeit, hoffnungslosigkeit, verzweiflung, unzufriedenheit, tiefe trauer, leere, sinnlosigkeit, schuld, sehnsucht, wut, hass, furcht, angst.
Wenn man durch eine schwere psychische störung ging/geht und ein emotionales vermeidungsverhalten gegenüber "tabu"-gefühlen entwickelt hat, die man als schlimm und bedrohlich erlebt hat, ist es nicht einfach, sich dieser palette an emotionen wieder anzunähern und diese nicht gleich als pathologisch und psychisch zerstörerisch zu bewerten, abzulehnen und sie dadurch noch zu verstärken.
In diesem zusammenhang interessiere ich mich für übungen für mehr akzeptanz und um den kampf gegen sich selbst aufzugeben.
Hallo ohn,
vielleicht hilft es dir, dir zu vergegenwärtigen, dass derjenige Anteil, der die Gefühle erlebt und der Teil von dir, der die Gefühle gedanklich bewertet und ablehnt ein und dasselbe sind, auch wenn es einem meist so vor kommt, als würden erst die Gefühle kommen und dann die Ablehnung als zeitlich nachfolgende Reaktion darauf. Zu erkennen, dass der Gesamte Impuls (die Emotion und die darauf folgende mentale Reaktion zusammenhängen kann vielleicht helfen, den "Komplex als Ganzes" besser loslassen zu können. Das ist sicher alles andere als einfach und man muss es von Moment zu Moment indem die Gefühle auftauchen wieder von neuem bewusst tun. Aus eigener Erfahrung schleichen sich die schlechten Vibes einfach ein und ehe man sich versieht ist das Denken infiziert und man steckt in negativen Betrachtungsweisen der Gesamtsituation, vor allem dann, wenn man von vielen Dingen abgelenkt wird, Stress hat und keine Möglichkeit hat eine Pause einzulegen und zur Ruhe zu kommen und zu sagen. Hey ... alles ist OK, die Dinge wegen denen du dich abfuckst sind es nicht Wert abgefuckt zu sein.
In einem Buch von Paul Watzlawick (die erfundene Wirklichkeit) wird ein Begriff geprägt, den ich im Zusammenhang mit dem Bewertungsprozess der eigenen Emotionen und Empfindungen interessant finde: Und zwar wird dort unterschieden zwischen einer
aktive und
passiven Verneinung. Wenn man sich den Bewertungsprozess einer unangenehmen Emotion (Angst, Schmerz...) vorstellt wie einen binären Computeralgorythmus, der nur Nullen und Einsen, Schwarz und Weiß also Zustimmung (Ja, mir gehts scheiße), (Nein, ich will nicht dass es mir scheiße geht) kennt, dann wäre der Versuch, die Empfindung abzulehnen (Nein!) die
aktive Verneinung, was meistens im Abschneiden von den betreffenden Gefühlen resultiert und das Problem irgendwie nicht löst. Das Ja, ist der Glaube an die Gefühle und damit ebenfalls ein Festhalten daran. In beiden Fällen bleibt man Gefangen in der Schleife, weil man egal was man macht, man Teil des Grundprozesses bleibt, der durch den Gefühlkomplex gesteuert ist. Die
passive Verneinung ist dann das worauf
...der buddhismus, der akzeptanz und achtsamkeit ansatz der modernen psychotherapie...
abzielen: Nicht
entweder dafür
oder dagegen sein, sondern
weder dafür
noch dagegen zu sein. Auch wenn die Gefühle real und da sind löst es einem von dem Glauben, dass sie über einen bestimmten. (Ein ganz allgemeines Beispiel für eine
aktive Verneinung wäre der Atheist, der seine ganze Energie darauf verwendet, Gottes Existenz zu verneinen und damit indirekt seine Existenz zumindest im eigenen Geiste beständig fortleben lässt)
Ich weiß, dass ist jetzt megatheoretisch. Eigentlich soll es nur eine plastische Veranschaulichung dafür sein, wie man sich aus einer Bewertungsschleife löst. Das das im praktischen alltäglichen Leben mit all seinen vielfältigen Einflüssen im Wechselspiel mit der komplexen, leicht aus dem Gleichtgewicht zu bringenden Dynamik der Seele alles andere als leicht ist, sollte klar sein.
Im praktischeren Sinne muss man wohl abwägen wie schwer einen die Gefühle bedrohen und wie sehr man in der momentanen Lebenssituation in der Lage ist sie zuzulassen und zu integrieren ohne das die Bearbeitung soviel Energie nimmt oder bindet, dass man alltägliche Dinge nicht mehr bewältigen kann. Ich weiß nicht wie konkret dich das belastet ohn. Vielleicht ist es auch günstiger bewusst gar keine große Energie mehr darauf zu verschwenden indem du versuchst den Aufmerksamkeitsfokus bewusst auf andere Dinge zu lenken, die das Verschwinden der negativen Gefühle begüntigen. Sie werden sehr wahrscheinlich wieder kommen aber immer hin binden sie in der "freien" zeit keine Energie und die freigewordene Energie kann dir helfen ihnen bei einer späteren "Attacke" bewusster zu begegnen, mit weniger Vermeidugsverhalten aus Angst vor den Gefühlen.
Ich hoffe ich hab dich nicht zu arg verwirrt.
Die Problematik ist, wie du ja sagtest
ohn hat geschrieben: ...so alt wie die menschheit...
und uns und damit leider auch mir nur zu gut bekannt. Es ist halt auch schwierig, weil man, wenn man in einem negativen "Gefühls- und Gedankenloch" steckt, sich nicht vorstellen kann, dass es jemals wieder besser werden kann. Irgendwie logisch warum. Das würde ja das ganze Kostrukt ins Wanken bringen... aber wie gesagt... alles leichter gesagt als getan/gelebt.
Ich wünsch dir und allen Wanderern auf dem Weg zu mehr Akzeptanz gegenüber sich selbst viel Glück
Take pain as a game.