Da ich gerade "Die Kunst des Liebens" von Erich Fromm lese und sehr begeistert bin, mache ich hier mal einen Thread dazu auf. Nicht unbedingt zu dem einen Buch, aber zu dem einen Mann. Da ich auch schon auf "Haben oder sein"-Leser im Forum gestoßen bin, wollen sie vielleicht ja auch etwas dazu beitragen? Ich würde mich freuen. Wenn sich Diskussionen ergeben sollten, natürlich ebenfalls.
Ich beginne mal mit einer Sammlung an Zitaten, die ich aus einem anderen Thread hierher übernehmen werde...
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Die Erfahrung des Abgetrenntseins erregt Angst, ja, sie ist tatsächlich die Quelle aller Angst. Abgetrennt sein heißt, abgeschnitten sein und ohne jede Möglichkeit, die eigenen Kräfte zu nutzen. Daher heißt abgetrennt sein hilflos sein, unfähig sein, die Welt - Dinge wie Menschen - mit eigenen Kräften zu erfassen; es heißt, dass die Welt über mich herfallen kann, ohne, dass ich in der Lage bin, darauf zu reagieren. Daher ist das Abgetrenntsein eine Quelle intensiver Angst. Darüber hinaus erregt es Scham und Schuldgefühle. (...)
Das Bewusstsein der menschlichen Getrenntheit ohne die Wiedervereinigung durch die Liebe ist die Quelle der Scham. Und es ist gleichzeitig die Quelle von Schuldgefühl und Angst.
Das tiefste Bedürfnis des Menschen ist es demnach, seine Abgetrenntheit zu überwinden und aus dem Gefängnis seiner Einsamkeit herauszukommen. Ein absolutes Scheitern bei diesem Versuch führt zum Wahnsinn, weil das panische Entsetzen vor einer völligen Isolation nur dadurch zu überwinden ist, dass man sich so völlig von der Außenwelt zurück zieht, dass das Gefühl des Abgetrenntseins verschwindet, und zwar weil die Außenwelt, von der man abgetrennt ist, verschwunden ist.
Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, S. 18/19
(Hervorhebung durch Autor)
Der wichtigste Bereich des Gebens liegt jedoch nicht im Materiellen, sondern im zwischenmenschlichen Bereich. Was gibt ein Mensch dem anderen? Er gibt etwas von sich selbst, vom Kostbarsten, was er besitzt, er gibt etwas von seinem Leben. Das bedeutet nicht unbedingt, dass er sein Leben für den anderen opfert- sondern, dass er ihm etwas von dem gibt, was in ihm lebendig ist; er gibt ihm etwas von seiner Freude, von seinem Interesse, von seinem Verständnis, von seinem Wissen, von seinem Humor, von seiner Traurigkeit - von allem, was in ihm lebendig ist. Indem er dem anderen auf diese Weise etwas von seinem Leben abgibt, bereichert er ihn, steigert er beim anderen das Gefühl des Lebendigseins und verstärkt damit dieses Gefühl des Lebendigseins auch in sich selbst. Er gibt nicht, um zu empfangen; das Geben ist an und für sich eine erlesene Freude. Indem er gibt, kann er nicht umhin, im anderen etwas zum Leben zu erwecken, und dieses zum Leben erweckte strahlt zurück auf ihn; wenn jemand wahrhaft gibt, wird er ganz von selbst etwas zurückempfangen.
(...)
Die Liebe ist aber nicht nur ein Geben, ihr "aktiver" Charakter zeigt sich auch darin, dass sie in allen Formen stets folgende Grundelemente enthält: Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung vor dem anderen und Erkenntnis.
Erich Fromm: Die Kunst des Liebens, S. 35/36
(Hervorhebung durch Autor)
Dass zur Liebe Fürsorge gehört, zeigt sich am deutlichsten in der Liebe der Mutter zu ihrem Kind. (...) Liebe ist die tätige Sorge für das Leben und das Wachstum dessen, was wir lieben. Wo diese tätige Sorge fehlt, ist auch keine Liebe vorhanden. (...)
Neben der Fürsorge gehört noch ein weiterer Aspekt zur Liebe: das Verantwortungsgefühl. Heute versteht man unter Verantwortungsgefühl häufig "Pflicht", also etwas, das uns von außen auferlegt wird. Aber in seiner wahren Bedeutung ist das Verantwortungsgefühl etwas völlig Freiwilliges; es ist meine Antwort auf die ausgesprochenen oder auch unausgesprochenen Bedürfnisse eines anderen menschlichen Wesens. (...)
Das Verantwortungsgefühl könnte leicht dazu verleiten, den anderen beherrschen und ihn für sich besitzen zu wollen, wenn eine dritte Komponente der Liebe nicht hinzu kommt: Achtung vor dem anderen. Achtung hat nichts mit Furcht und nichts mit Ehrfurcht zu tun: Sie bezeichnet die Fähigkeit, jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht sich darauf, dass man ein echtes Interesse daran hat, dass der andere wachsen und sich entfalten kann. (...)
Achtung vor einem anderen ist nicht möglich ohne ein wirkliches Kennen des anderen. Fürsorge und Verantwortungsgefühl für einen anderen wären blind, wenn sie nicht von Erkenntnis geleitet würden. Meine Erkenntnis wäre leer, wenn sie nicht von der Fürsorge für den anderen motiviert wäre. Es gibt viele Ebenen der Erkenntnis. Die Erkenntnis, die ein Aspekt der Liebe ist, bleibt nicht an der Oberfläche, sondern dringt zum Kern vor. Sie ist nur möglich, wenn ich mein eigenes Interesse transzendiere und den anderen so sehe, wie er wirklich ist. (...)
Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung und Erkenntnis stehen miteinander in engem Zusammenhang. Sie bilden ein Syndrom der Einstellungen, die beim reifen Menschen zu finden sind, das heißt bei einem Menschen, der seine eigenen Kräfte produktiv entwickelt hat, der seine narzisstischen Träume von Allwissenheit und Allmacht aufgegeben und die Demut erworben hat, die auf einer inneren Stärke beruht, wie sie nur echtes produktives Tätigsein geben kann.
Erich Fromm - Die Kunst des Liebens, S. 37-43
Hervorhebung durch Autor
*Nachtrag*
Alle Seitenangaben der Zitate von mir beziehen sich auf die Ausgabe von 1980
Der-Erich-Fromm-Thread
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Zuletzt geändert von Sonntagskind am 31. August 2014, 18:40, insgesamt 1-mal geändert.
~~ courage ~ compassion ~ connection ~~
~~ ~~ ~~ ~~ vulnerability ~~ ~~ ~~ ~~
~~ ~~ ~~ ~~ Γνῶθι σεαυτόν ~~ ~~ ~~ ~~
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