Die Vorgeschichte
Der Tod begleitet mich und mein Leben schon solange ich mich erinnern kann. Ich habe auch nicht im Gedächtnis, dass es mir jemals gelungen ist, das zu verdrängen bzw. dass es mir wieder schlagartig bewusst geworden wäre, weil es mir zuvor nicht präsent gewesen wäre.
Ganz konkret bedeutet das: Im Alter von 4,5 Jahren war ich nicht nur anwesend, sondern auch quasi darin involviert, wie mein Großvater mütterlicherseits einen letalen Herzinfarkt bekam und daran verstarb. Da er während dessen auf mich fiel, war er mir dabei auch körperlich sehr nahe (einer meiner kleinen Finger wurde dabei auch verstaucht). Meine Oma, die ebenfalls anwesend war, stand daneben und konnte nichts tun, als angstvoll zu schreien, während ich mich unter Opa rausarbeitete und davon lief, um meine Eltern zu rufen, die im Haus nebenan wohnten.
Das war, davon gehe ich zumindest aus, der Ursprung eines intensiven Gefühls von Macht- und Hilflosigkeit, das noch heute durch viele verschiedene Situationen getriggert wird. Es begleitet mich durch mein Leben wie auch ein oft erlebtes Gefühl von Trauer/Traurigkeit/Kummer, auch wenn es dafür manchmal keinen offensichtlichen Grund gibt.
Als ich meine ersten psychedelischen Experimente startete, habe ich häufig auf LSD stundenlang weinen können (was ich schon als einigermaßen anstrengend erlebt habe); meist ohne, dass es in der Situation gefühlt zu einer Linderung kam. Aber ab dem Tag danach fühlte sich vieles leichter an. Es war, als hätte ich die kathartische Wirkung von Tränen dadurch physisch erfahren können. Auch auf anderen Substanzen, etwa Ayhuasca, erleb(t)e ich - unter anderem - sehr intensive Gefühle von Kummer/Verzweiflung/Trauer, die ich immer wieder durcharbeiten muss(te), um zu Frieden/Glückseligkeit/Stille/dem All-Eins zu gelangen.
Da der Tod ein immerwährender Begleiter war, habe ich auf ganz unterschiedlichen Wegen versucht, ihm zu begegnen und den alten Schmerz zu be-/verarbeiten, u.a. auch durch meine Suche nach "Gott" oder die Ausbildung in der Hospizbegleitung.
Der Entschluss
Anfang Oktober dann bin ich meinem "Ozean aus Schmerz" während einer anstrengenden Zeit wieder begegnet; der Ozean, von dem ich dachte, ihn abgearbeitet/verringert zu haben im Laufe der letzten Jahrzehnte. Ich habe allerdings nun die Erfahrung gemacht, mittlerweile Werkzeuge zur Hand zu haben, ihm zu begegnen. Es hat mich allerdings sehr erstaunt, ihn [erneut] in diesem Ausmaß zu erfahren. Ich ging danach auf die Suche nach neuen Ansätzen der Bearbeitung.
Gelandet bin ich bei einer Dame, die als psychologische Psychotherapeutin arbeitet, vor rund 40 Jahren einen klassischen verhaltenstherapeutischen Abschluss machte, um sich verschiedenen körpertherapeutischen Ansätzen zu widmen. Sie beschäftigt sich in ihrer Praxis überwiegend mit Trauma und Trauer. Das Foto fand ich sympathisch, daher habe ich sie nach ein paar Tagen angemailt. Recht zügig kam es zu einem Erstgespräch. In diesem bot sie mir an, EMDRbasierte Therapiesitzungen mit mir durchzuführen, die zu einer induzierten Nachtodkommunikation mit dem Verstorbenen führen können . Ich sagte ad hoc zu, was sie zum Anlass nahm, sich für mein Vertrauen zu bedanken. Ich habe mir anschließend zwei Bücher angeschafft, um mehr über die Methodik zu erfahren, die aber selten über die technische Beschreibung hinaus ging - viele beschriebene Erfahrungsberichte dagegen habe ich weitestgehend nicht gelesen, um möglichst unvoreingenommen und erwartungsfrei an diese Sitzungen heranzugehen.
Ich zitiere den Kern der Therapieform nach Botkin aus seinem Buch dazu:
"Nach meiner Überzeugung verbirgt sich im Kern der Trauer tiefe Traurigkeit.
Diese tiefe Traurigkeit (core sadness) ist so schmerzlich, dass Patienten sie unbewusst, aber wirksam hinter Schuld und Bedauern verstecken und in „Was-wäre-wenn-Fragen“ stecken bleiben: Was wäre, wenn ich ihren Tod hätte verhindern können? Was wäre, wenn ich ein liebevollerer Freund gewesen wäre? Sowohl Schuldgefühl als auch Traurigkeit werden oft vermieden durch Ärger oder massive Wut – auf Gott, die Ärzte, den befehlshabenden Offizier oder irgendjemand anderen, der als Zielscheibe herhalten muss: Die Ärzte hätten besser aufpassen müssen. Unser Leutnant hatte kein Recht, uns an diesen gefährlichen Ort zu schicken. ... Wie machtvoll diese Schichten von
Schuld und Ärger auch erscheinen – wenn sie ausagiert werden, wehren Patienten damit doch nur das Gefühl der schmerzlichen Traurigkeit in ihrem tiefsten Inneren ab.
In der Trauertherapie gingen wir, bevor EMDR aufkam, so vor: Wir wollte den lähmenden Schmerz der Trauer verringern, indem wir unsere Patienten dabei unterstützten, die Schichten von Ärger abzuschälen, die die Schuldgefühle verbargen; danach die Schichten von Schuldgefühlen abzulösen, hinter denen sich die Traurigkeit verbarg, und schließlich über ihre Traurigkeit zu sprechen, um sie durchzuarbeiten. Dieser Prozess dauerte Jahre und war von Frustration und scheinbar endlosen Therapiesitzungen gekennzeichnet. Mit
EMDR konnten wir Patienten dabei unterstützen, all diese Schichten rasch zu verarbeiten, manchmal in einer einzigen Sitzung.
Mit Core-Focused EMDR zum Kern der Traurigkeit
EMDR hatte sich als so zuverlässiges und wirksames Verfahren erwiesen, um traumatischen Trauerschmerz aufzudecken und zu lindern, dass ich mich sicher genug fühlte, meine Patienten stärker zu ermuntern, gleich direkt in ihre tiefe Trauer zu gehen und dabei zu bleiben. Ich konnte die darüberliegenden Gefühle von Schuld und Ärger umgehen, die üblicherweise Monate oder Jahre an Therapiesitzungen in Anspruch nahmen, und gelangte in einer Sitzung zur Traurigkeit. Wenn es uns gelang, diese tiefe Traurigkeit vollständig zu verarbeiten, verschwanden Schuld und Ärger oft, ohne dass man sie direkt bearbeiten musste. Das zeigte, dass diese Emotionen nur dazu dienten, die Patienten davor zu schützen, die tiefe Traurigkeit zu empfinden. Auch stellte ich fest, dass die Patienten besser ansprachen, wenn sie nach einer Serie von Augenbewegungen ihre Augen kurz schlossen; deshalb forderte ich alle Patienten genau dazu auf. Ich nannte mein direktes Vordringen zur zugrundeliegenden Traurigkeit Core-Focused EMDR. Damit erzielte ich sehr gute Ergebnisse, sogar noch schneller als mit der herkömmlichen EMDR-Behandlung."
(Botkin, Hogan: Zwischen Trauer und Versöhnung, S. 28/29)
Oder, wie Robert Frost schon sagte: The best way out is always through.
Ein anderes Zitat, was mich sehr überzeugte, war:
"Unterschiede zur kognitiven Therapie
[IADC] ist keine Gesprächstherapie, sondern erfahrungsortientiert. Denken und sprechen sind auf ein Minimum reduziert, weil das abstrakte Prozesse sind, die den Patienten vom tiefen emotionalen Bearbeiten wegbringen. Eine Erfahrung hat das ursprüngliche emotionale Problem ausgelöst - diese Erfahrung muss der Patient verarbeiten, um sie aufzulösen. Und das findet normalerweise auf einer tiefen Erfahrungs- oder emotionalen Ebene statt; daraufhin wird das Glaubenssystem völlig ´umgekrempelt.`"
(S. 235)
Ja, das war mein Ansatz.
1. Core focused EMDR-Sitzung
Da ich gerade krank war, war ich sowieso recht dünnhäutig; bei mir geht eine physische Erkrankung oft einher mit negativ gefärbten Gedankengängen, durch die sich das mit der Erkrankung bei mir einhergehende energetische Loch bemerkbar macht, so dass ich sowieso eine Grundtraurigkeit spürte, als ich zur ersten Core focused EMDR-Sitzung auflief. Nach ein paar einleitenden Sätzen brauchte mich die Dame gar nicht lange mit "Konzentrieren Sie sich nun auf den Schmerz, die Traurigkeit" zu bitten, sofort fingen die Tränen an zu laufen. Das ist nun wirklich nichts, was ich üben muss. ^ ^
Während den verschiedenen EMDR-Sequenzen nun machten sich auf der körperlichen Ebene für mich erstaunliche Dinge bemerkbar: Ausgehend von einem Druck auf dem Brustbereich (eher linksseitig) arbeitete sich ein eher unangenehmes Druckgefühl im Uhrzeigersinn durch den kompletten Solarplexusbereich. Kurz über Nabelhöhe wurde es streckenweise so intensiv, dass ich fast das Gefühl bekam, mir hätte eben jemand in den Bauch geboxt. Es war wirklich erstaunlich. Immer wieder wurde nach den entsprechenden Augenbewegungssequenzen kurz innegehalten, nach hochkommenden Bildern, Gefühlen, Empfindungen gefragt und wieder in die Kerntraurigkeit gegangen. Über den Verlauf der Sequenzen fiel es mir immer schwerer, die Traurigkeit in ihrer mir bestens bekannten Tiefe wieder herauszukitzeln; einhergehend mit den entsprechenden physischen Empfindungen schien sich das Trauergefühl ebenfalls zu verändern, leichter zu werden. Sowas hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Die Dame verstand es allerdings auch bestens, mich durch das Erfragen von bestimmten Bildern wieder in auflösenswerte Traurigkeit zu versetzen.
Der gesamte Solarplexusraum wurde abgearbeitet im Uhrzeigersinn, wie gesagt; kurzzeitig erlebte ich bei zwei Bildern auch ein Gefühl, als wrde mir die Kehle zugeschnürt. Oben mittig unter den Rippenbögen schließlich angekommen, schien sich das teilweise wirklich sehr massive Gefühl dann weitestgehend aufzulösen. Kurz darauf beendeten wir die Sitzung.
Eine gefühlte oder sonstwie geartete Form von Nachtodkommunikation stellte sich nicht ein, aber das war für mich äußerst zweitrangig. Nach der 1,5 stündigen Sitzung ging ich noch schnell zur Toilette, bevor ich die Praxis verließ. Der Blick in den Spiegel zeigte mir, dass meine Augen leuchteten wie sonst nur nach Ayahuasca-Zeremonien - und: ich fühlte mich wesentlich lebendiger. Leichter. Besser.
Ich erlebe dieses Tool als erstaunlich kraftvoll und bemerkenswert effizient; ich hätte mitnichten etwas derartiges erwartet. Mal sehen, wohin mich die nächsten Sitzungen führen. Bisher lautet mein Urteil: Ausgesprochen empfehlenswert!
Selbsterfahrung: Core focused EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
1~~ courage ~ compassion ~ connection ~~
~~ ~~ ~~ ~~ vulnerability ~~ ~~ ~~ ~~
~~ ~~ ~~ ~~ Γνῶθι σεαυτόν ~~ ~~ ~~ ~~
~~ ~~ ~~ ~~ vulnerability ~~ ~~ ~~ ~~
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