Ein zweckgebundenes Chaos

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Liebe Community,

Es ist keine Krise. Es ist nichtmal sonderlich unangenehm. 'Chaos' trifft es auf den Punkt. Eine wirre Entzweigung und Entmenschlichung. Ein Kampf zwischen unvereinbaren Gegensatzpaaren - Identität und Gesellschaft, Individualität und Anpassung, Trennung und Vereinbarung; und irgendwo dazwischen befinde ich mich, in meinem leblosen Dasein.
Es belustigt mich. Ich denke nach, besinne mich, lache und weine. Es ist absurd und ziellos, und doch allmächtig und stark. Es sind uneindeutige Gefühle, deren Macht alles mir bekannte übersteigt. Und doch sind sie nur zeitlebig und vergänglich und einmal mehr machen sie dem unersättlichen Verstand Platz, der mir seit jeher bester Freund und ärgster Feind ist. Was vermag mir eine auf die Umwelt reagierende Denkmaschine mitzuteilen? Ist es nicht paradox, dass ich glaube mein Verstand erfasse die Welt, wobei all jene Gedanken und Gefühle nur Reaktionen sind, die aufgrund der unterschiedlichen Eindrücklichkeit der Welt hervorgerufen werden? Mal geht es mir gut, mal schlecht - mal schmeckts, mal nicht. Und doch vermeine ich, meine Denkfabrik habe Einsicht in das Ding ansich. Von jedem Geist anders erkannt, von jedem Kopf völlig verkannt.
Die Welt spaltet sich. Subjekt und Objekt. Gefühl und Verstand. Leben und Tod. Lebendigkeit und Materie. Doch die selbst geschaffene Weltordnung, derer ich mich einst erfreute und in dessen Überlegenheit ich mich sonnte, ist unhaltbar in den chaotischen Zuständen der heutigen Gesellschaft. Aber was schimpfe ich die Welt chaotisch, wenn meine Idiotie von deren nur abweicht, wenn mein Kopf nur verkennt, was deren Wahrnehmung bekennt, anerkennt oder erkennt. Wortspielerei.
Was sind Worte? Eine Abstrahierung der viel zu komplexen Welt in simple Schallgebilde, welche am Ohr des anderen vorbei rauschen und ein bekanntes, in Erinnerung gerufenes Bild hinterlassen, welches infolgedessen interpretiert und missverstanden wird. Kann jemals Jemanden Worte als das auffassen, was mit ihnen im Versand verbunden wurde? Sagen wir nicht leichtfertig, man verstehe einander, wobei das Wortegerüst des anderen Geistes nur gerade zufällig oder schicksalhaft ins eigene passt? Verbindet man jemals ein Gefühl miteinander, oder ist es nur die sprachliche Komponente, der Verstand, der miteinander, zwischenmenschlich, verbunden wird? Der Verstand! Ein Teufelswerk in Gottes Händen. Er ist Reichtum. Ein Armutszeugnis des Reichtums. Seine Ungenauigkeit, seine Langsamkeit, seine oftmalige Naivität, seine Zwiespältigkeit. Er spricht in Rätseln und versucht sich dann selbst zu entschlüsseln. Er versucht in Bereiche vorzudringen, welche von den Schatten der Persönlichkeit verdeckt werden. Er analysiert ein Leben lang, generationsübergreifend, eine gesamte Evolution hinweg, wer dieses seltsame, durch Haut zusammengehaltene Gebilde in Wirklichkeit ist. Er stellt eine Theorie im Kopfe des Einen auf und verwirft dieselben von dem nächst besseren Kopf.
Doch ist unser Verstand nicht vorhersehbar, unwirklich, unnatürlich, trügerisch, täuscherisch, unhaltbar, unstet? Gibt er nicht in Wirklichkeit vor etwas zu sein, was er nicht ist? Verflucht er den Wirt nicht zur Täuschung? Ruft er nicht gar Geister empor, die jahrelang in Narrenschaft harren, bis sich der gute Mensch zu guter Letzt von ihnen befreit, und anschließend stirbt? Mir fällt auf, das mein Verstand nur eine wilde Statue ist, die derweil nicht in die Welt passt und nur durch Anpassung, Zucht und Ordnung, Einschränkung und quälender Erniedrigung in diese Welt passt. Spreche ich aus, was ich denke, so werde ich gemieden; zu verrückt klingen die Ideen eines Jünglings, dessen Lebenserfahrung zu gering ist, als dass er das Lebensgewicht auszumessen weiß. Lieber berufe man sich auf ungelebte Jahre, in denen die Arbeit Schwernis vorgab und Erfolge ausweisen ließ, die im Nachhinein als ruhmreich und identitätsfördernd angesehen werden. Dazu muss man sein halbes Leben gelebt haben. Lebensweisheit kommt aus dem Leben. Der Verstand weiß sich schon zu bilden. Aber wo bleibt der Drang zur Absurdität? Man verehrt die Künstler, weil das Kollektiv die Regel dafür vorschreibt. Aber wehe dem, der Einzelne wendet sich ab vom kollektiven Gedankengut und versucht sich in der Individualität. Dann weist man auf die vorgegebenen Pfade - in dieser Richtung sei der gute Bekannte von Ecke 6 12 gut aufgehoben, man habe Verbindungen dahin gehend, ja Connection; der dritte Weg stehe auch offen, er ist bepflastert, man verlange Wegzoll, wird aber dafür staatlich gefördert. Aber wie?! Er möchte mitten durch die Wiese laufen? Einfach so, gerade mal das dort vereinzelt Fußspuren zu finden sind? Wie kann man nur den Drang haben, zu tun, was kein anderer tat; zu sein, was sonst keiner ist? Unmöglich, völlig unverständlich. Absurd. Hexerisch!

Unsere Gesellschaft ist eine gegliederte Reihe von humorvollen, doch witzlosen Marionetten, die in ihrer Präsenz einem schlechten Film gleichkommen. Man lacht täglich über dieselben Witze, hört immer neu die gleichen Geschichten, amüsiert sich immer wieder an der Selbstironie billiger Clowns. Sobald ich anfange Leidenschaft zu entwickeln, Feuer zu entfachen, Individualität auszubauen, Interessen zu verfolgen, Erfahrungen zu machen und an Größe zu gewinnen, stoße ich an dieselbe, tückische Wand der Gesellschaft. Man zeigt mir durch allerhand Worte die Wege auf, welche asphaltiert und als gesichert gelten, welche ich gehen könnte um die Treppe der Gesellschaft zu besteigen. Aber das laue fade Lüftchen ist mir äußerst zuwider, es ist bekannt, schmeckt immer gleich, entwickelt sich nicht weiter. Ich blicke auf zu den Oberen - bis ich oben stehe. Und dann werde ich von unten beäugt. Die Leidenschaft in mir ist viel ergiebiger. Sie lässt mich bluten und verbrennen. Sie sticht mir einen Dolch in den Leib und verwöhnt mich mit ihrem Schmerz. Und dieser Schmerz spottet der Gewohnheit. Genüsslich tropft mein Blut zu Boden und ich lache über die Eigensinnigkeit des Schicksals...
Doch wieder und wieder rufen mich die Worte zurück. Die Worte der Normalität, Pflichterfüllung, Gewohnheit, Sinnlosigkeit, Monotonie. Die Worte, die Zauberei verächten und sich vor Hexen fürchten. Die Worte, die am liebsten, tagein tagaus, dasselbe sagen würden und niemals wagen, ein gewohnheitsbrecherisches Paradoxon aufzuwerfen.

Lebe ich für mich, so hasse ich die Gesellschaft. Lebe ich für die Gesellschaft, so hasse ich mich. In mir selbst fühle ich mich wohl, in meiner Leidenschaft blühe ich auf; so sitze ich denn halbnackt vorm PC, lausche berauschender Musik, versinke in den unendlichen Tiefen der daraus entstehenden Gefühlswelt und erfreue mich am reinen, urinstinktiven Sein. Doch so lange ich Ich bin, pralle ich ab an der Welt, der Unsinnigkeit und Unstimmigkeit einer falschen, unnötig komplexen Weltordnung. Einen Kompromiss gibt es nicht. Es gibt nur Mich. Mich und die Welt. Die Welt in mir.

Ich schrieb euch meine Gedanken nieder. Es ist eine verwirrende, unzusammenhängende Fülle von Gedanken und Gefühle. Ich musste sie festhalten, durfte sie nicht verflüchtigen lassen. Denn sonst könnte ich mir das nicht verzeihen.
Denn wenn man schweigt und die Sehnsucht unterdrückt, wird man am Ende ein Gefangener seiner eigenen Welt.

Wer möchte kann genau wie ich seine Gedanken von sich werfen. Hierin können wir über Krisen, Absurdität und Unstimmigkeit diskutieren. Aber bitte - lasset die kleine Stimme, welche euch mahnt, die Moral zur obersten Direktive zu ernennen, daheim. Schreibt was ihr denkt, denkt wie es euch beliebt.

Es grüßt euch,

Yagé
Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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:herzen:
Immer wieder freue ich mich hier zu sein und solche tollen Texte lesen zu dürfen.
Ich lese deine Worte, weiß dass sie nur Schablonen sind, und dennoch denke ich, verstehe den Zwiespalt, das Gefühlschaos und bin begeistert von dem Text. Leider habe ich gerade wenig Zeit, aber ich hoffe bald nochmal mehr dazu schreiben zu können. Dennoch erstmal danke.

Viele Grüße,
Phönix
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Wunderschöner Beitrag. Danke. :bow:

Ich bin so frei ein, zwei, drei Gedanken dir mir beim lesen deiner Gedanken aufkamen hier niederzuschreiben. :)
Yagé hat geschrieben: Eine wirre Entzweigung und Entmenschlichung. Ein Kampf zwischen unvereinbaren Gegensatzpaaren - Identität und Gesellschaft, Individualität und Anpassung, Trennung und Vereinbarung; und irgendwo dazwischen befinde ich mich, in meinem leblosen Dasein.
Soo leblos erscheint es mir nicht. Wäre es leblos - würdest du nicht das schreiben was du geschrieben hast.
Yagé hat geschrieben: Es belustigt mich. Ich denke nach, besinne mich, lache und weine. Es ist absurd und ziellos, und doch allmächtig und stark.
Um mal einen Spruch zu bringen, der geradezu ein wenig abgedroschen klingt und doch wahr ist: Es gibt kein Ziel weil der Weg das Ziel ist.
Yagé hat geschrieben: Es sind uneindeutige Gefühle, deren Macht alles mir bekannte übersteigt.
Und es geht immer weiter...
Yagé hat geschrieben: Und doch sind sie nur zeitlebig und vergänglich und einmal mehr machen sie dem unersättlichen Verstand Platz, der mir seit jeher bester Freund und ärgster Feind ist. Was vermag mir eine auf die Umwelt reagierende Denkmaschine mitzuteilen?
Ist es nicht paradox, dass ich glaube mein Verstand erfasse die Welt, wobei all jene Gedanken und Gefühle nur Reaktionen sind, die aufgrund der unterschiedlichen Eindrücklichkeit der Welt hervorgerufen werden?
Sehr schön! Genau das ist das System der Gedanken (aka Verstand). Ein extrem komplexes deterministisches System.
Yagé hat geschrieben: Und doch vermeine ich, meine Denkfabrik habe Einsicht in das Ding ansich.
Ist es nicht das was das Ich glauben muss.
Yagé hat geschrieben: Von jedem Geist anders erkannt, von jedem Kopf völlig verkannt.
:herzen:
Yagé hat geschrieben: Die Welt spaltet sich.
Das ist die Grundlage des Verstandes-Denken, nicht?
Yagé hat geschrieben: Subjekt und Objekt. Gefühl und Verstand. Leben und Tod. Lebendigkeit und Materie.
Dualität. :)
Yagé hat geschrieben: Doch die selbst geschaffene Weltordnung, derer ich mich einst erfreute und in dessen Überlegenheit ich mich sonnte, ist unhaltbar in den chaotischen Zuständen der heutigen Gesellschaft.
Ist es wirklich chaotisch oder basiert es vielleicht gar auf sehr einfachen Gesetzmäßigkeiten die uns aufgrund ihrer Absurdität als chaotisch erscheinen?
Yagé hat geschrieben: Was sind Worte? Eine Abstrahierung der viel zu komplexen Welt in simple Schallgebilde, welche am Ohr des anderen vorbei rauschen und ein bekanntes, in Erinnerung gerufenes Bild hinterlassen, welches infolgedessen interpretiert und missverstanden wird.
imho ist Sprache viel, viel mächtiger. Auf Sprache basierende Informationen schaffen erst die Grundlage für die Wahrnehmung spezifischer Komplexe. So hat mir ein Buch über narzistische Persönlichkeitsstörungen erst die zunehmend ganzheitliche Wahrnehmung dieser Prozesse ermöglicht.

Aber das ist nur ein Aspekt von Sprache und nicht mehr als die Spitze des Eisbergs. Unsere Entwicklung als Spezies wäre ohne Sprache undenkbar.

Am Anfang war das Wort...

Sprache ist ein essentieller Teil des Menschseins und kann wie alle essentiellen Qualitäten bis in die Unendlichkeit entfaltet werden.

Sprache kann als unmittelbarer Ausdruck des SEINS entstehen.
Yagé hat geschrieben: Kann jemals Jemanden Worte als das auffassen, was mit ihnen im Versand verbunden wurde? Sagen wir nicht leichtfertig, man verstehe einander, wobei das Wortegerüst des anderen Geistes nur gerade zufällig oder schicksalhaft ins eigene passt?
Ja, das geschieht oft leichtfertig.

Wäre es daher nicht angebracht den Verstand ruhen zu lassen und die Worte in ihrer ursprünglichen (nicht subjektiv gefärbten) Bedeutung aufzunehmen? Ganz ohne Interpretation. Damit kommen wir der Wahrheit sicher näher als indem wir versuchen es mithilfe unseres Verstand-Wolfs zu ver-wursteln. Wurst ist ja bekanntermaßen ein Abfallprodukt und könnte geschmacklich kaum weiter von einem guten Steak entfernt sein. ;)
Yagé hat geschrieben: Verbindet man jemals ein Gefühl miteinander, oder ist es nur die sprachliche Komponente, der Verstand, der miteinander, zwischenmenschlich, verbunden wird?
Empathie (Spiegelneuronen) arbeitet nicht auf der Ebene des Verstandes. Sie funktioniert auch ganz ohne Denken. Nur fühlen.
Yagé hat geschrieben: Der Verstand! Ein Teufelswerk in Gottes Händen. Er ist Reichtum. Ein Armutszeugnis des Reichtums. Seine Ungenauigkeit, seine Langsamkeit, seine oftmalige Naivität, seine Zwiespältigkeit. Er spricht in Rätseln und versucht sich dann selbst zu entschlüsseln. Er versucht in Bereiche vorzudringen, welche von den Schatten der Persönlichkeit verdeckt werden. Er analysiert ein Leben lang, generationsübergreifend, eine gesamte Evolution hinweg, wer dieses seltsame, durch Haut zusammengehaltene Gebilde in Wirklichkeit ist. Er stellt eine Theorie im Kopfe des Einen auf und verwirft dieselben von dem nächst besseren Kopf.
Kann sich ein geschlossenes System überhaupt aus sich selbst heraus verstehen?
Yagé hat geschrieben: Spreche ich aus, was ich denke, so werde ich gemieden; zu verrückt klingen die Ideen eines Jünglings, dessen Lebenserfahrung zu gering ist, als dass er das Lebensgewicht auszumessen weiß.
Die Wahrheit ist ein brennendes Schwert. Lasst uns zündeln!
Yagé hat geschrieben: Unsere Gesellschaft ist eine gegliederte Reihe von humorvollen, doch witzlosen Marionetten, die in ihrer Präsenz einem schlechten Film gleichkommen. Man lacht täglich über dieselben Witze, hört immer neu die gleichen Geschichten, amüsiert sich immer wieder an der Selbstironie billiger Clowns. Sobald ich anfange Leidenschaft zu entwickeln, Feuer zu entfachen, Individualität auszubauen, Interessen zu verfolgen, Erfahrungen zu machen und an Größe zu gewinnen, stoße ich an dieselbe, tückische Wand der Gesellschaft.
Dann durchbreche sie! Unser Selbst durchtrennt jeden Widerstand! Und nicht weil wir gleiches mit gleichem bekämpfen - weil wir ALLES transzendieren können.
Yagé hat geschrieben: Man zeigt mir durch allerhand Worte die Wege auf, welche asphaltiert und als gesichert gelten, welche ich gehen könnte um die Treppe der Gesellschaft zu besteigen. Aber das laue fade Lüftchen ist mir äußerst zuwider, es ist bekannt, schmeckt immer gleich, entwickelt sich nicht weiter. Ich blicke auf zu den Oberen - bis ich oben stehe. Und dann werde ich von unten beäugt. Die Leidenschaft in mir ist viel ergiebiger. Sie lässt mich bluten und verbrennen. Sie sticht mir einen Dolch in den Leib und verwöhnt mich mit ihrem Schmerz. Und dieser Schmerz spottet der Gewohnheit. Genüsslich tropft mein Blut zu Boden und ich lache über die Eigensinnigkeit des Schicksals...
Unglaublich poetisch. Wunderschön. :bow:
Yagé hat geschrieben: Doch wieder und wieder rufen mich die Worte zurück. Die Worte der Normalität, Pflichterfüllung, Gewohnheit, Sinnlosigkeit, Monotonie. Die Worte, die Zauberei verächten und sich vor Hexen fürchten. Die Worte, die am liebsten, tagein tagaus, dasselbe sagen würden und niemals wagen, ein gewohnheitsbrecherisches Paradoxon aufzuwerfen.
Muster sind dafür dar erkannt und überwunden zu werden. Und dabei nicht durch neue Muster ersetzt zu werden.

Lasst die unendlichen Variationen des Tao zum bestimmenden Muster werden. Das Muster ist das Nicht-Muster. Sein ist die Fülle im Nichts.
Yagé hat geschrieben: Lebe ich für mich, so hasse ich die Gesellschaft. Lebe ich für die Gesellschaft, so hasse ich mich.
Das ist kein MUSS.

Eines ist sicher: Hass entsteht in dir. Wut und Hass sind oft Projektionen. Auch sind Wut und Hass gute Indikatoren auf unbearbeitete Inhalte und wir können sie als genau das betrachten. Indikatoren. Hinweise.

ALLES ist eine Gelegenheit zum wachsen. Damit wir wahrlich er-wach-(s)en.

In unserem Kern gibt es keine Wut und keinen Hass.

Und bedenke: Du hast bereits sehr schön die automatisierten Prozesse des Verstandes herausgestellt. Der Unterschied zu vielen Menschen ist der, das du dir darüber zunehmend bewusst bist. Wunderbar! Warum ich den Unterschied rausstelle? Und ein weiterer Bibelspruch: Vater, vergib ihnen sie wissen nicht, was sie tun!
Yagé hat geschrieben: Denn wenn man schweigt und die Sehnsucht unterdrückt, wird man am Ende ein Gefangener seiner eigenen Welt.
Ich danke dir, dass du dich dem Fluss hingegeben hast. :bow:
happiness is the absence of resistance

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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So ich hab gerade mal ein wenig Zeit gefunden um auch von meiner Seite ein paar Kommentare zu geben. Wobei ich nicht weiß, ob man wirklich gute Kommentate geben kann, denn der Text steht eigentlich für sich....
Und doch sind sie nur zeitlebig und vergänglich und einmal mehr machen sie dem unersättlichen Verstand Platz, der mir seit jeher bester Freund und ärgster Feind ist. Was vermag mir eine auf die Umwelt reagierende Denkmaschine mitzuteilen? Ist es nicht paradox, dass ich glaube mein Verstand erfasse die Welt, wobei all jene Gedanken und Gefühle nur Reaktionen sind, die aufgrund der unterschiedlichen Eindrücklichkeit der Welt hervorgerufen werden?
Ich kenne das Gefühl. Eigendlich war ich zeitlebens ein sehr vernünftiger Mensch, sehr kopflastig, sehr rational und daher, wie mir heute klar ist, völlig unvernünftig. Klinkt paradox, aber nur oberflächlich betrachtet. Früher nahm ich der Welt primär über das Denken wahr, ich beurteilte und bewerte alle möglichen Gefühlslagen und Verhaltsweisen anderer ohne selbst groß zu fühlen. Ich wollte mich stets unter Kontrolle haben, mich nicht von irgendwelchen unkontrollierbaren Gefühlsbewegungen hinreisen lassen. Daher galt ich als vernünftig, obwohl ich alles andere als das war, denn ich stellte die Vernumpft, die Ration, auf ein Podest, welches sie nicht verdient hatte. Heute schätze ich die Intelligenz, die uns zu eigen ist, immer noch hoch, sehe sie als Orientierungshilfe, um mich selbst und die Welt in der ich lebe zu betrachten und zu verändern, aber nicht mehr, um sie zu erklären, zu erfassen. Diese Vorstellung geisterte noch lange durch mein Denken, ist nun aber nur noch kaum vorhanden. Hm...ich denke über den Gegensatz Denken-Nicht Denken gab es schon mal einen Thread....
Von jedem Geist anders erkannt, von jedem Kopf völlig verkannt.
:herzen: ....
Die Welt spaltet sich. Subjekt und Objekt. Gefühl und Verstand. Leben und Tod. Lebendigkeit und Materie.
Spaltet sich die Welt oder spalten wir sie .... ?
Wortspielerei.
Was sind Worte? Eine Abstrahierung der viel zu komplexen Welt in simple Schallgebilde, welche am Ohr des anderen vorbei rauschen und ein bekanntes, in Erinnerung gerufenes Bild hinterlassen, welches infolgedessen interpretiert und missverstanden wird. Kann jemals Jemanden Worte als das auffassen, was mit ihnen im Versand verbunden wurde? Sagen wir nicht leichtfertig, man verstehe einander, wobei das Wortegerüst des anderen Geistes nur gerade zufällig oder schicksalhaft ins eigene passt? Verbindet man jemals ein Gefühl miteinander, oder ist es nur die sprachliche Komponente, der Verstand, der miteinander, zwischenmenschlich, verbunden wird?
Ein Glas kann halb leer oder halb voll sein. Wenn man am verdursten ist, kann ein halbes Glas nicht den ganzen Durst löschen, aber dich immerhin vor dem verdursten bewahren. Du siehst den Mangel der Sprache. Wichtig ist es sich diesen Mangel bewusst zu machen. Aber wie Erraphex schon schrieb, ist Sprache auch etwas wunderbares. Ausdruck von Geistesregungen, unendliche Möglichkeiten des eigenen Ausdruckes, Spiel...
Ach ja...Worte...Schallwellen....sind dies hier Worte ?
Der Verstand! Ein Teufelswerk in Gottes Händen. Er ist Reichtum. Ein Armutszeugnis des Reichtums. Seine Ungenauigkeit, seine Langsamkeit, seine oftmalige Naivität, seine Zwiespältigkeit. Er spricht in Rätseln und versucht sich dann selbst zu entschlüsseln. Er versucht in Bereiche vorzudringen, welche von den Schatten der Persönlichkeit verdeckt werden. Er analysiert ein Leben lang, generationsübergreifend, eine gesamte Evolution hinweg, wer dieses seltsame, durch Haut zusammengehaltene Gebilde in Wirklichkeit ist. Er stellt eine Theorie im Kopfe des Einen auf und verwirft dieselben von dem nächst besseren Kopf.
Wir scheinen nicht dazu geschaffen zu sein, die Antwort auf Alles zu wissen und solange wir nicht alles wissen, empfinden wir einen Mangel. Aber warum ? Niemand verurteilt uns wegen diesem Mangel auser wir selbst. Warum uns nicht erfreuen an den Möglichkeiten die es gibt, jedoch bewusst, dass unser Verstand nicht reicht um alles zu verstehen. (Ich sehe immer wieder, wie akademisch geschulte Theologen, Philosophen und sicher viele mehr, dennoch glauben wir begreifen eigentlich fast alles und sich in unglaubliche unsinnige metaphysische Gedankengebäude verrennen).
zu verrückt klingen die Ideen eines Jünglings, dessen Lebenserfahrung zu gering ist, als dass er das Lebensgewicht auszumessen weiß

Ich gebe dir völlig recht. Dabei sagte...ich meine es war Seneca sehr schön: Die meisten Menschen haben nicht lange gelebt, sie waren einfach nur lange da.
Denn wenn man schweigt und die Sehnsucht unterdrückt, wird man am Ende ein Gefangener seiner eigenen Welt.
Ich denke, es sind nicht wenig, die so denken wie du. Du brauchst nicht schweigen, du brauchst nur Menschen, mit denen du wirklich reden kannst ;). Ich denke, es wären mehr als man glaubt. Mir fällt da die schöne Geschichte ein, dass im alten Rom ein Senator vorgeschlagen hat, alle Sklaven sollten ein Band an ihrem Arm tragen, damit man sie besser erkennen könne. Der Vorschlag wurde abgelehnt, aus Angst die Sklaven könnten sehen, wie viele sie wirklich sind ... hier ist es umgekehrt. Könnten wir die Menschen erkennen, die den Mainstream in Frage stellen, selbst denken, Befreiung suchen, wäre wir sicher auch überrascht :).

Ich könnte noch viele Sätze zitieren und unter diese nur :herzen: machen könnte, weil ich den Satz nicht ergänzen kann und er wunderbar klingt...daher hier für all diese Sätz ein :herzen: :herzen: :herzen: .


Vielen Danke und viele Grüße,
Phönix
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Zunächst danke ich euch beiden für eure wertvollen Beiträge. Ich habe sie mehrfach gelesen und wollte sie schon zahlreiche Male kommentieren. Aber ich denke, die Worte stehen für sich und stehen alleine gesehen gut.
Trotzdem besten Dank für eure Rückmeldung.

Seit vergangenem Wochenende denke ich mehrfach über unsere innewohnenden Gefühlswelten nach. Dazu schrieb ich gerade eben folgendes, was hier ganz gut ins Thema passt:

Ist es nicht geradezu paradox, dass sich unser gesamtes Dasein um unsere Gefühle zu drehen scheint, diese es aber sind, welche wir am meisten zu bedrängen, einzusperren, zu leugnen oder zu unterdrücken versuchen?

Mir wird mittlerweile gewahr, dass jede Weisheit auf Gefühlen basiert. Die wertvollsten Erkenntnisse stiegen in Momenten empor, in denen meine Gefühle auf dem Hochstand waren - ob bestehend aus Leidenschaft, Feuer, Liebe oder Hass - der kochende Gefühlseintopf verführt zu reichhaltigen und komplexen Einsichten. Und einmal von der Schockwelle des Gefühls angekurbelt, schweben die Gedanken umher, umrunden das Dasein und lassen Sehnsucht walten, wo Vernunft die Stellung der Aktzeptanz verteidigt.
Doch Gefühle sind facettenreich und mannigfaltig. Sie weben tausendfaltige Muster in unendlicher Schönheit, sind per definitionem unbestimmtbar und definieren sich lediglich durch leblose Abbilder ihrer Selbst. Worte. In hemmungsloser Übertreibung ist man zuletzt versucht, ein Gefühl, dem eine ganze Welten innewohnt, zum Ausdruck zu bringen. Scheiterhaft.
Ein Gefühl ist das höchste Gut des Menschen. Ob Weisheit, Schönheit, Reinheit, Klarheit, Zerstörung, Macht, Hingabe oder Erotik; alles sprießt aus dem wagen Untergrund der Gefühlswelten.

Doch weshalb verfahren wir so mit dem, was uns Menschen am meisten differenziert und distanziert? Eine magische Welt, die uns die schönsten Töne und Schriften, die zauberhaftesten Gedichte und weisesten Erkenntnisse entlockt? Weil es schwach ist etwas zu fühlen? Weil man darüber schweigen sollte? Weil man den Verstand - typisch weltmännischer Natur - mehr zu schätzen weiß, als die Fähigkeit weinen zu können? Weil man lieber die stärkste Kraft in sich zu verbergen und kontrollieren lernen möchte, anstatt sich ihrer Bewusst zu werden und sie nutzbar zu machen?

Wenn ich offen bin: die dunkelsten Gefühle in mir annimierten mich in der Vergangenheit zu den größten Veränderung, zu Wachstum, Entwicklung und Reife; doch gleichsam klingen sie im Wortlaut der Gesellschaft als verachtenswerte und scheltenwerte niedere Instinkte, die es frühzeitig zu unterdrücken und auszumerzen gilt. Die Träne des Mannes in offener Gesellschaft gilt als Schand, öffne Agriffsfläche für Tadel. Die Folge des Irrsinns sind Massendepressionen, psychopathische Arbeitnehmer, psychotische Gewohnheitsmenschen, unterdrückte und in ihrer Persönlichkeit eingeschränkte junge Menschen! Lieber verberge man die Wut, entwickle sie zur Mordlust, befreie sie im Amok, als von vornherein offen zu sprechen.
Jeder Gedanken hängt an einem Gefühlsstrang. Sobald wir in uns negative Emotionen vernehmen, hilft uns auch die Vernunft nicht weiter: wir denken und sind ab dem Moment negativ! Doch ist das nicht eine paradoxe Sichtweise der Gesellschaft, das wir uns eine gewählte Sprache auferlegen und uns im Anzug präsentieren, nur um vor den Statuen der Gesellschaft immer gleich zu wirken?

Nie wieder werden ich den Fehler machen, meine Gefühle im Hinterstübchen zu verstauen. Es lebe jedes Gefühl - und ich ehre die größten unter diesen: die Sehnsucht und Leidenschaft. Ohne diese beiden Freunden hätte ich mich nie zu dem entwickelt, was ich heute bin. Danke an das Gefühl in mir.
Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Yeah. Auf den Punkt gebracht und genau dieser Gedanke geistert seit einigen Wochen in meinem Geiste rum. Ist es nicht seltsam, dass obwohl wir faktisch alle unsere eingene Wirlichkeit erleben, doch so gleichsam durch das Leben laufen. Gleiche Klamotten, gleiche Einrichtung, gleiche Sprechart, gleiche Gedanken und gleiche Individualität durch Lifestyleprodukte :doh: . Warum fühlen so wenige tief in sich hinnein, lernen ihre innersten Prozesse zu erfühlen und diese zum ausdruck zu bringen ?
Wenn ich offen bin: die dunkelsten Gefühle in mir annimierten mich in der Vergangenheit zu den größten Veränderung, zu Wachstum, Entwicklung und Reife;
Bei mir war dies auch Stein des anstoßes. Doch inzwischen ist mein Antrieb nicht mehr so stark, die dunklen Gefühle zu verbannen sondern vielmehr, das Licht in mir zu leben. Faktisch das Gleiche, nur ist die Motivation eine andere. Auserdem wirft es folgende Frage auf: Wer rennt schneller ? Der, hinter dem sich die Hölle auftut, oder der, vor dem sich die Pforten zum Paradies öffnen ? Ich tippe auf letzteren... :)
Lieber verberge man die Wut, entwickle sie zur Mordlust, befreie sie im Amok, als von vornherein offen zu sprechen.
Ok, so weit würde ich nicht gehen. Aber immer wieder finde ich es interessant, welche Debatten nach einem Amoklauf geführt werden. Der Amokläufer wird rein funktionalistisch betrachtet, analysiert, was er tat, welche Werkzeuge er hatte und was er in seinem früheren Leben gemacht hat. Darauf hin wird überlegt, was man ändern könnte, damit er dies nicht mehr umsetzen könnte. Die Frage, was hat er empfunden, wie seine Gefühle entstanden sind, wie man mit Menschen reden kann, die ähnlich fühlen, werden kaum gestellt.
Nie wieder werden ich den Fehler machen, meine Gefühle im Hinterstübchen zu verstauen. Es lebe jedes Gefühl - und ich ehre die größten unter diesen: die Sehnsucht und Leidenschaft.
:bow:
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Auserdem wirft es folgende Frage auf: Wer rennt schneller ? Der, hinter dem sich die Hölle auftut, oder der, vor dem sich die Pforten zum Paradies öffnen ? Ich tippe auf letzteren... :)
ja!
renne nach dem glück.

doch:
renne nicht zu sehr!

denn:
alle rennen nach dem glück,

das glück:
rennt hinterher.....

:lol:

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

8
sehr schön :rofl:

Auch sehe ich, dass man meine Aussage so verstehen konnte. Naja, macht nichts. Dafür gelacht.
So, lang genug abgelenkt....wieder weitermachen.... :schreib:
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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In dem Moment, als ich hiobs Post lesen wollte und dadurch zuerst Phönix' Zitat las
Phönix hat geschrieben:Auserdem wirft es folgende Frage auf: Wer rennt schneller ? Der, hinter dem sich die Hölle auftut, oder der, vor dem sich die Pforten zum Paradies öffnen ?
ist in so 'ner NaturDoku, die grad läuft, ein Pinguin auf felsigem Boden vor 'ner Robbe geflüchtet, die ihn fressen wollte und der Sprechertyp meinte, beide würden sich gleich schwer tun auf diesem Untergrund, aber der Pinguin hätte mehr zu verlieren und würde deshalb 2/3 derartiger Attacken flüchtend überstehen .... ich denke, der gemeine Mensch würde sich den Arsch abrennen, wenn er hinter sich die Hölle sieht und wahrscheinlich erstmal skeptisch sein, wenn vor ihm das Himmelstor erschiene :D

@hiob
Mal wieder ein wunderschöner Beitrag von dir :bow:
My bubble -- my rules

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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ich denke, der gemeine Mensch würde sich den Arsch abrennen, wenn er hinter sich die Hölle sieht und wahrscheinlich erstmal skeptisch sein, wenn vor ihm das Himmelstor erschiene :D
Gerade das finde ich ne spannende Frage. Vor ein paar Jahrzehnten schrie ein verrückter den Massen zu "wollt ihr den totalen Krieg", was nicht anderes ist, als die Hölle, und die Massen jubelt ihm exstatisch zu. Solange man in Skeptik weilt, hat sich das Himmelstor noch nicht weit genug geöffnet. Was, wenn du einmal im Paradies geweilt hast und erfahren hast, was Exstase und Liebe ist ;).
Natürlich muss man nicht rennen...insbesonder nicht dahin, wo andere hin rennen.

Ach, ich glaub mein Geist ist gerade zu Mathvernebelt :sabber:
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Sehr schöner Beitrag Yagé.

Nur eine kleine Anmerkung:
Yagé hat geschrieben: Mir wird mittlerweile gewahr, dass jede Weisheit auf Gefühlen basiert. Die wertvollsten Erkenntnisse stiegen in Momenten empor, in denen meine Gefühle auf dem Hochstand waren - ob bestehend aus Leidenschaft, Feuer, Liebe oder Hass - der kochende Gefühlseintopf verführt zu reichhaltigen und komplexen Einsichten.
Genau das unterscheidet die Einsicht imho von der Erkenntnis. Einsichten gehen weit über die rationale Ebene hinaus. Einsichten haben energetische Konsequenzen - Gefühle und Emotionen sind die wahrnehmbaren Effekte dieser Konsequenzen. Nur sie haben die Macht von einem Augenblick zum nächsten Augenblick ALLES zu verändern. Erkenntnisse sind dagegen absolut nichtig.
Phönix hat geschrieben: Auch sehe ich, dass man meine Aussage so verstehen konnte.
Wie wäre sie denn deiner Intention nach zu verstehen gewesen?
happiness is the absence of resistance

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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Gestern war mein erster fleischloser Tag. Meine Tagesration beschränkte sich auf eine Birne, eine Banane und einen Apfel. Dazu gegen Nachmittag Chips und reichlich Sekt. Eine tödliche Mischung. Ein Rausch ohne Unterlage, mit einer gleich bleibenden Tendenz der Intensität. Gegen Abend entwickelten sich emotionale Gespräche ohne Zügel, ohne Ziel, ohne Lösung - Lasten wurden offen gelegt und weiter erschwert; Sinn suchte man vergeblich, ebenso wie Verständnis. Zu später Stunde packte mich dann die Sehnsucht nach Schlaf. Ein törichter Wunsch. Ich fühlte mich schwach, hungrig, einsam, leicht angetrunken, innerlich aufgewühlt. An Schlaf nicht zu denken. Die Stunden vergingen, gleichsam mit dem Sinn für Zeit und Realität. Irgendwann, gegen 4 Uhr morgens, muss ich unbemerkt in den Schlaf gefallen sein. Jedenfalls hörte ich zu früher Morgenstund den Regen ans Fenster prasseln. Das Aufstehen schien mir unmöglich, sowohl gedanklich als auch körperlich. Wozu stiehlt sich der Mensch so durchs Leben? Für eine Überzeugung? Für seine Träume? Für die leise Hoffnung, einmal mehr erreichen zu können? Oder für die Einsicht, man müsse die warme Schale seiner Illusionen zerreißen und ins kalte Becken der Realität springen? Diese Gedanken spukten mir durch den Kopf.
Plötzlich entstand der Wunsch, zu schreien - ganz laut; ich schluckte den Brocken Sehnsucht herunter, überredete mich konsequent dazu, aufzustehen, setzte meine Kopfhörer auf und flüchtete dieser Welt durch Zuhilfenahme einer dunklen, kalten Musik die mir seit jeher Klarheit schuf. Geisterhaft wandelte ich durch die Menschen, als seien sie Angehörige einer anderen Spezies. Ja, als sei ich ihrer nicht angehörig.

Mit diesen Gefühlen und Gedanken fuhr ich zur Arbeit. Mir begegnete das übliche Allerlei. Witze und Späße, Gelächter, laute Stimmen - es war, wie es immer war; nur war es anders, für mich. Eine verkehrte Welt. Eine Welt ohne Richtlinien und Ziele. Zweckmäßig bestimmt, zu überleben - und doch dem Tode geweiht.
Man wird einfach aufs Spielbrett gesetzt und dann wird gewürfelt - waren die Schritte, die man ging, demnach selbst erwählt? Oder gleich alles der unendlichen Aneinanderreihung einer kausalen Kette? Ist das Leben nicht grausam, wenn man sich vor Augen führt, wir Menschen seien der Höhepunkt der Evolution - zur Herrschaft ernannt, und doch nicht fähig? Wir suhlen uns im Dreck - geschaffen aus Zement und Asphalt, aus einer Maschinerie der Industrie und einem sich ständig selbst therapierenden Individualismus.

Irgendwie überfällt mich gerade das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Ich wünschte die Welt wäre friedlich, die Tiere könnten ohne Angst in den Wäldern und Flüssen leben, dürften eins sein mit der Natur und dürften eins sein mit sich selbst. Doch solange das nicht der Fall ist, fühle ich mich als Verräter - als Angehöriger einer heuchlerischen Gesellschaft, die durch Egoismus und Kaltherzigkeit groß geworden ist. Nun bin ich froh, geschrieben zu haben, und sehe doch keinen Sinn hinter den Zeilen. Es ist nur dieses Gefühl, dieser unsagbar schwere Gräuel, der mir bitter die Kehle empor klettert. Ich würge ihn heraus und lebe weiter... :ohnein:
Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

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:bow: Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. An einigen Tagen fühle ich mich Verbunden mit der Welt (nicht unbedingt mit den Menschen) und an anderen fühle ich wohl ähnlich wie du. Hier kommt mir gerade ein Vers aus dem Tao te king in den Sinn...

Ist der SINN verloren, dann das LEBEN.
Ist das LEBEN verloren, dann die Liebe.
Ist die Liebe verloren, dann die Gerechtigkeit.
Ist die Gerechtigkeit verloren, dann die Sitte.


Alles gute.

P.S.: Ne Birne, nen Apfel und ne Banane sind nicht unbedingt die optimale vegane/vegetarische Kost für einen ganzen Tag ;)
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Ein zweckgebundenes Chaos

14
Der ewige Molch

(aus einem Zeit-Magazin der 80er?)




Ich will nicht länger Molch sein,
:baeh:

so stoss’ ich mir den Dolch ‘rein.
:nick:

Oh Gott, das hält kein Molch aus,
:heul:

so zieh’ ich halt den Dolch ‘raus.
:nixplan:

Verflucht, dass ich ein Molch bin!
:fies:

Doch nein - ich werf’ den Dolch hin.
:pfeif:

Oh, wenn ich doch kein Molch wär’!
:heul:

Doch dafür muss der Dolch her!
:glaskugel:

Ich will nicht länger Molch sein,
:baeh:

so stoss’ ich mir den Dolch ‘rein.
:freak:





Re: Ein zweckgebundenes Chaos

15
Ach, wär ich doch ein Molch

dann müßt ich nicht spielen mit dem Dolch

der mich könnt erlösen von solch Zeuch

welches ich nicht vermag zu erklären euch.



(reim dich oder ich fress dich :D )
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
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