Laurie Penny bei den Republikanern: Im siebten Stock der Hölle

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24. Juli 2016, 15:08 Uhr

Laurie Penny bei den Republikanern: Im siebten Stock der Hölle

Wie sähe Amerika aus, wenn Donald Trump im Weißen Haus säße? Die Feministin Laurie Penny erlebte beim Parteitag der Republikaner, welche Menschen der Milliardär anzieht.
Ros: Es brennt!

Gül: Wo?

Ros: Alles in Ordnung. Ich führe nur den Missbrauch von Redefreiheit vor. Um zu beweisen, dass es ihn gibt.

Dialog aus Tom Stoppards Theaterstück "Rosenkranz und Güldenstern"
Dies ist eine Geschichte darüber, wie Trolle den Politikzirkus übernommen haben. Es ist eine Geschichte über Insidergeschäfte in der Aufmerksamkeitsökonomie. Es ist eine Geschichte über Angst und Schrecken und über Donald Trump und über dich und mich.

Es ist keine Geschichte über Milo Yiannopoulos, diesen professionellen Provokateur der alternativen Rechten, dessen Account gerade bei Twitter gesperrt wurde, weil er dort die Schauspielerin Leslie Jones rassistisch beschimpft hatte (Anmerkung der Redaktion: Auslöser war, dass Jones eine der Hauptrollen in der neuen "Ghostbusters"-Verfilmung besetzt, in der im Gegensatz zum Original Frauen auf Geisterjagd gehen).

Aber die Geschichte beginnt mit Milo. Also sollte ich zunächst erklären, woher wir uns kennen - und wie es dazu kam, dass ich in einer seltsamen, heißen Nacht in Cleveland auf Rücksitz seines protzigen schwarzen Trollmobils saß auf dem Weg zur schwulsten neofaschistischen Kundgebung beim Parteitag der Republikaner (Anm. der Red.: der "Wake Up"-Party, die zum Parteitag organisiert wurde von homosexuellen Republikanern).

Milo Yiannopoulos ist ein charmanter Teufel und einer der schlechtesten Menschen, die ich kenne. Ich habe den politischen Diskurs gespiegelt in seiner Designersonnenbrille sterben sehen. Es fröstelte mich. Wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt, bevor er der selbsternannte "sagenhafteste Superschurke des Internets" wurde. Damals war er nur ein weiterer rechter Experte mit zu weichem Haar. Und wir nahmen gemeinsam an einer Podiumsdiskussion teil, an deren Thema ich mich nicht mehr erinnere. Danach betranken wir uns, liefen auf dem BBC-Gelände rum und unterhielten uns über Jungs. Es machte Spaß.

"Feminismus ist Krebs"

Seit diesem Tag gibt es absolut nichts, das ich zu Milo sagen kann, um ihn davon zu überzeugen, dass wir keine Freunde sind. Je bekannter er wird, indem er mit großer Geste Frauen und Minderheiten beschimpft, desto mehr sage ich ihm, dass ich ihn hasse und alles, für das er steht - und desto mehr lacht er und fragt, wann wir wieder was trinken gehen. Ich bin eine radikal-feministische, queere Publizistin mit echten Prinzipien. Er findet das witzig und lädt mich zu seinen Partys ein.

"Feminismus ist Krebs" lautet eine von Milos Lieblingsparolen. Und trotzdem brauchte er nur Sekunden, um, nachdem er erfahren hatte, dass wir beide beim Republikaner-Parteitag in Cleveland sein würden, mich zu seiner "Wake Up"-Kundgebung einzuladen. Dieses Mal - so wahr Gott mir und den Dingen, die ich für den Journalismus tue, helfe - sagte ich ja.

Jetzt sind wir also beim Parteitag, wo der heulende Psychopath Donald Trump gerade als Präsidentschaftskandidat bestätigt wurde - zum Horror seiner halben Partei und jedem verbleibenden moderaten Konservativen in den USA. Und zum Horror der 15.000 Journalistinnen und Journalisten, die in Scharen aufschlugen, um diesen Zirkus in Echtzeit zu erleben. Milo genießt jede Sekunde. Er hat keine Zeit verloren, um sich als Trittbrettfahrer des milliardenschweren Demagogen anzubieten, den er in gräulich-ödipaler Fröhlichkeit "Daddy" nennt.

"Ich dachte, ich hätte noch sechs Monate"

Die Straßen sind für den Parteitag von Menschen leergefegt worden, sauber. Nur voll von Polizeisperren unter Straßenlaternen. Ich ziehe mein Ausgehkleid an und warte auf Milo vor dem Ritz. Nach einer halben Stunde werde ich in einen großen Ford platziert, wo Team Milo bereitsitzt, um seinen Star abzuholen. Team Milo besteht aus seinem Tourmanager, Tim, der für die konservative Nachrichtenseite Breitbart arbeitet, und einem hübschen jungen Mann mit einem sauber gestutztem Bart und einem "Dangerous Faggot" -Bandshirt (Anm. d. Red.: unter dem Motto "gefährliche Schwuchtel" tourt Milo derzeit durch die USA). Und dann ist da noch Milos Personal Trainer und Fahrer; er ist die Art amerikanische Sportskanone, die ich immer für eine mehr oder weniger fiktionale Figur hielt. Die Gang schlägt Zeit tot, sie fragt, ob ich lieber Boris Johnson oder Nigel Farange vögeln würde. Ich beschuldige sie psychischer Gewalt, es ist ein Witz, obwohl ich es auch ernst meine.

In dem Moment, in dem wir losfahren, wird bekannt, dass Milo auf Twitter gesperrt wurde. Das ist ein großer Erfolg für Milo und seine Marke. Innerhalb einer Stunde wird sein Name im Netz weltweit trenden.

Das Auto hält vor einem Restaurant, wo Fox News ein Dinner veranstaltet; zwei massige Security-Männer in Anzügen klemmen mich zwischen sich ein. Es sind die wuchtigsten Menschen, die ich je gesehen habe.

Dann, endlich, kommt Milo.

Er rutscht auf den Vordersitz - gebleachte Zähne, glitzernd-protzig, mit riesiger Sonnenbrille. Ich werde seine Augen den ganzen Abend lang nicht sehen. Er fragt, wie ich mich fühle.

Milo ist aufgeregt. Das ist seine Nacht. Wie geht es ihm mit seinem Twitter-Rausschmiss? "Es ist fantastisch", sagt er. "Es ist ohnehin das Ende des Netzwerks. Das Timing ist perfekt." Er habe so etwas geplant. "Ich dachte, ich hätte noch sechs Monate, aber das wäre ohnehin passiert."

Milo zeigt kein Bedauern darüber, dass er eine Hasslawine in Leslie Jones' Richtung lenkte - sie ist nur das letzte Opfer seines Entspannungsrituals, das im Beleidigen von Frauen und Minderheiten besteht. Für Ruhm und den Spaß am Ruhm.

Milo zieht eine kugelsichere Weste an

Nach dem Gesetz des Wilden Webs gewinnen die, denen alles scheißegal ist. Im Verlauf unserer bizarren Nicht-Freundschaft habe ich festgestellt, dass Milo an nichts Konkretes glaubt - nicht mal an Redefreiheit. Das Gleiche gilt, wie man lesen kann, auch für Trump, für Leute wie Anna Coluter, für Boris Johnson und Nigel Farage: Sie sind pure Antagonisten, unbelastet von Überzeugungen, abgesehen von ihrem persönlichen Anspruch auf Macht und Geld.

Milo zieht vor seinem großen Auftritt eine kugelsichere Weste an. Er tut das, "weil es lustig ist", obwohl er sich Gedanken darüber macht, dass es ihn unvorteilhaft aussehen lässt. "Ich werde sie meinem Bekannten bei Louis Vuitton schicken." Es ist alles ein Schauspiel. Die choreografierte Performance eines Karriere-Soziopathen, dem jeder Grund genug ist, um weiter an der eigenen Legende zu stricken. Milo Yiannopoulos ist das ideologische Ebenbild von Kim Kardashians Hinterteil.

Der größere der beiden Sicherheitsleute übernimmt das Steuer. Milo streicht über seinen Arm und sagt, es sei okay, schnell zu fahren. Es folgt: die beängstigendste Autofahrt meines Lebens. Ich erlaube mir zehn Sekunden hysterisches Lachen. "Jeder ist tief, tief drin eine gute Person", flüstere ich mir selbst zu. Ich komme heil bei der Halle an, nur mein Glaube an die Menschheit ist angekratzt.

"Besorg Laurie eine Zigarette, Darling", sagt Milo zu seinem Personal Trainer, der für die Handtasche verantwortlich ist. Wir rauchen im Park hinter dem Gebäude, als Milos Kamerateam auftaucht und sein Mikro anschließt. Die Crew streamt den entzückten Twitter-Märtyrer, wie er wie einer von den "Reservoir Dogs" durch den VIP-Raum stolziert - ein mit Teppich ausgelegter Ballsaal im siebten Stock der Hölle, gefüllt mit manischen Trollen und selbstgefälligen Neofaschisten aus jeder noch so schlammigen Ecke des Internets. Bei der Bar plaudert Geert Wilders mit zwei Republikanern, die aussehen, als seien sie wie Beton in ihre Anzüge gegossen worden.

Roosh sieht eher gut aus, für, naja, ein Monster

Milo hält Hof. Ich höre, wie sich direkt vor mir jemand räuspert. Und da ist er: Daryush Valizadeh, auch bekannt als Roosh V - selbsternannter Führer der "neomaskulinen Bewegung", Pickup-Artist, Autor eines verdächtig hohen Stapels an Sex-Reiseführern und Nano-Berühmtheit in der frauenfeindlichen Netzwelt.

Roosh verdient seinen Lebensunterhalt damit, Feministinnen zu hassen. Er fragt mich, was ich hier mache. Ich stelle ihm die gleiche Frage. Die folgende Unterhaltung soll die surrealste an einem hochgradig surrealen Abend werden. Roosh ist groß, gut gebaut und sieht eher gut aus, für, naja, ein Monster. Ich kann das gut beobachten, weil er keinen Diskretionsabstand zu mir wahrt, meinen Blick blockiert und mir chaotisch und ausufernd erzählt, was meine Probleme sind.

Problem 1: Meine Frisur, und das sage er mir als Mann, lässt mein Gesicht zu rund aussehen. Das ist absolut richtig. Nummer 2: Mein Ziel ist es, die traditionelle Familie zu zerstören. Das ist auch wahr, obwohl ich ihn daran erinnere, dass die traditionelle Familie tatsächlich eine relativ neue soziale Konstruktion ist. Er besteht darauf, dass sie tausende Jahre alt ist und fragt mich, ob ich wirklich glaube, dass es richtig ist, wenn Schwule Kinder adoptieren. Ich sage ihm, dass ich das glaube. Er scheint davon genauso überrascht zu sein wie ich von der Tatsache, dass er bei einer Party dabei ist, die den Zweck hat, homosexuelle Republikaner zu feiern. Er ist dann aus dem gleichen Grund hier wie ich: Milo hat ihn eingeladen.

Ich kann nicht so tun, als würden wir uns streiten

Was mich an Roosh überrascht: Es wirkt, als glaube er tatsächlich an seine Sache. Anders als Milo scheint er - zumindest in einem gewissen Maß - überzeugt von dem zu sein, was er sagt. Er ist bitter, rachsüchtig, überzeugt von seinem Opferstatus als Blogger, dem die Mainstream-Medien nie den nötigen Respekt gezollt haben. Er sagt mir, der Grund, warum ich eine Kolumne habe, ist, weil ich ein Idiot bin und alle meine Leserinnen und Leser niedrige IQs haben. Ich frage ihn, ob er gerade eine Pickup-Flirttaktik anwendet.

Ich drehe mich um, um zu gehen, und Roosh schlägt vor, dass wir einen "Fake Fight" im Internet starten sollen, weil das "Teil des Spiels" ist. "Nein danke, ist gut", sage ich, aufrichtig erstaunt. Ich werde nie eine Auseinandersetzung mit diesem Mann führen. Wir haben eindeutig tiefgehende Differenzen. Ich denke, er ist ein gefährlicher Riesenjunge mit einer Armee von leichtgläubigen Frauenhassern im Gepäck. Ich kann nicht so tun, als würden wir uns streiten. Und ich will tatsächlich nicht mit ihm streiten, weil er schon zu viel von meiner Aufmerksamkeit hatte. Was - ganz ehrlich, was - glaubt dieser bärtige Soziopath, was er da macht?

Gewinnmöglichkeiten für die, die erniedrigt wurden

Die meisten Menschen verstehen unter einem Troll einen Provokateur - jemand, der abscheuliche, extreme oder beleidigende Dinge sagt, um bei einem Publikum eine Reaktion auszulösen. Für Trolle ist die Reaktion selbst der Gewinn. Dieser Gedanke erklärt aber noch nicht die vielen Unterarten der Trolle, die es in diesem gut gefüllten Pool der Quälgeister gibt.

Der entscheidende Unterschied zwischen den Demagogen, die sich beim Parteitag treffen, liegt zwischen diesen Aufmerksamkeitsgaunern - denen, die dieses groteske Spiel nur um des Spiels willen spielen und um sich selbst. Und denen, die wirklich an das glauben, was sie sagen.

Roosh ist ein wahrer Gläubiger, und dadurch hat er einen Nachteil. Milo ist der beste Spieler hier. Wie Trump, und wie viele erfolgreiche Politiker, hat er seinen Narzissmus kanalisiert, um dem stummen Hass der Menschen eine Stimme zu geben, die vom Neoliberalismus vergessen wurden. Sie bieten neue Gewinnmöglichkeiten für die, die erniedrigt wurden. Willkommen in der Gummizelle! Es gibt Käsehäppchen.

Ich treffe zufällig einen britischen Publizisten vom Spectator, einem gemäßigt-konservativem Magazin. Er nutzt die Chance, um sich bei mir zu entschuldigen, weil er mal im Netz fies zu mir war. Er dachte, so gehöre sich das auf Twitter. Wir werden, kurz, Verbündete in fremdem Territorium.

Ich weiß, dass ich verlieren werde

Britische Medienleute, die fast immer von ähnlichen Eliteschulen kommen, behandeln sich oft so: Einerseits kämpfen sie im öffentlichen Diskurs mit harten Bandagen, blutarm und ohne Empathie. Aber andererseits begegnen sich diese Medienstreber trotz ihrer politischen Differenzen dann in Momenten wie diesen dann doch wie Sparringpartner und Feierbekanntschaften, denn: Sind wir am Ende nicht alle im selben Team? Spielen wir nicht alle dasselbe Spiel?

Ich habe dieses Spiel nie verstanden. Deshalb habe ich mich auch immer geweigert, mit Milo öffentlich zu diskutieren. Nicht, weil ich Angst habe, zu verlieren. Sondern, weil ich weiß, dass ich verlieren werde. Weil mir Dinge wichtig sind - und ihm nicht. Und das bedeutet, dass er bereits gewonnen hat.

Mein neuer Spectator-Freund ist genauso verblüfft wie ich darüber, dass die Amerikaner Milo und seinesgleichen ernst nehmen. Verblüfft von ihrer Bereitschaft, stolz zu sein auf Heuchelei, und diese als Stärke zu verstehen.

Die USA werden von ihrem eigenen Mythos gefressen

Es funktioniert. Es verkauft sich. Es ist eine bittere Verbindung: Die seelenlose Debattenkultur, die so gut in Großbritannien funktioniert, eingepflanzt in eine Nation ohne soziales Sicherungssystem, aber mit einer halben Milliarde Schusswaffen. Es funktioniert. Zum Teil wegen der grundsätzlich kultähnlichen US-Kultur und der Ignoranz, die mit ihr einhergeht. Die USA sind eine Nation, die von ihrem eigenen Mythos gefressen wird - denn ihre Grundidee ist, an Unmögliches zu glauben. Keiner hat je gesagt, dieses Unmögliche müsste harmlos sein.

Geert Wilders ist auch einer von denen, die wirklich an die Sache glauben. Ich werde dem Euro-Faschisten und seinem Haar, das sich auf seinen Kopf legt wie ein toter Dachs , von einem jungen Niederländer vorgestellt, den ich vorher auf Tinder kennen gelernt habe. Er erzählt Wilders, dass ich eine linke Journalistin bin und Wilders Stimme wird auch dann nicht lauter, als er beginnt, mir sehr vage zu erklären, dass Frankreich kurz davor steht, sich abzuschaffen, um durch einen riesigen Kebab ersetzt zu werden.

Irgendwo hinter diesen leeren Augen brennt eine Mülltonne


Wilders ist am offensichtlichsten verhaltensgestört. Ihm gelingt es nicht, einen Satz zu Ende zu bringen. Seine Stimme driftet und er verliert sich, als sei er schon außerhalb des Raums unterwegs. Irgendwo hinter diesen leeren Augen brennt eine Mülltonne.

Wilders ist eine weniger aufpolierte, gänzlich charmebefreite Darbietung der Demagogen-Blaupause, die uns auch Donald Trump und Boris Johnson beschert hat. Diese Menschen haben keine Persönlichkeit. Sie haben Haarschnitte. Hässliche Haarschnitte. Und wir fallen herein auf das Spiegelbild, das sie von sich selbst sehen - das Spiegelbild, das sie als kleine Götter zeigt.

Ich stolpere nach unten, um die Reden zu hören. Die Halle ist voll von nervösen Journalistinnen und Journalisten. Pamela Geller, eine unwichtigere, rechte Sprecherin, erzählt, dass Islam der wahre Feind von Homosexuellenrechten sei; und dass Trump Amerika rettet, indem er Einwanderer rausschmeißt. Ihr habt das alles schon gehört. Ich möchte es nicht zitieren, und ich muss es nicht.

Dann ist Milo an der Reihe.

Seine Rede ist eine reine Unterhaltungsshow, von Anfang bis Ende. Er stolziert auf das Podium, streift seine kugelsichere Weste ab, schwindlig vor Aufmerksamkeit, und verkündet, dass er bei Twitter rausgeschmissen wurde. Er kassiert Jubel von den "Gamergate Goons", deren Männlichkeit offenbar so fragil ist, dass sie glauben, der neue Ghostbusters-Film mit Frauenbesetzung sei eine Bedrohung für ihre Identität. Ich werde Milos Rede hier nicht zitieren. Ihr könnt sie online finden, wenn ihr wollt. Es ist eine sehr gute Rede, wenn man unter "sehr gut" versteht, dass anständige Menschen in einer Ecke den Tod der Vernunft beklagen. Milo erzählt einen rassistischen Witz. Die Menge flippt aus.

Milo verbreitet eine geradezu prunkvolle Unaufrichtigkeit, die für viele Briten sehr schnell durchschaubar ist. Amerikaner verstehen aber Ironie anders, und manchmal verstehen sie sie überhaupt nicht. Die aufgeregten jungen Menschen, die sich zusammengefunden hat, um Milo zuzuhören, glauben, was er sagt, selbst dann, wenn er es selbst nicht glaubt. Und er glaubt es nicht. Und es ist egal.

Es ist egal, dass er es nicht meint. Es ist egal, dass er, tief drin, durchaus eine liebenswürdige, verletzliche Person ist. Eine Person, die nett zu den Menschen ist, die er als Freunde wahrnimmt. Es ist egal, dass irgendwo in dem glitzernd umrandeten Hamsterrad, das sein Verstand ist, ein Gewissen wartet. Es ist egal, weil der Schaden, den er anrichtet, real ist. Er führt eine greinende Trollarmee zum Sieg - unter Bedingungen, die diese kaum versteht.

So weit ist es gekommen, dass die Hauptredner beim Parteitag der Republikaner, einer der wichtigsten politischen Veranstaltungen einer Nation, zum Abschlachten und Abschieben von Ausländern aufrufen, und erklären, Hillary Clinton sei eine Agentin des Teufels.

Sie verpacken die Angst von Millionen in den Hilferuf "Es brennt" - und in diesem Theater, wo alle Türen verschlossen sind, schauen sie sich dann die Massenpanik an und lächeln für die Kameras.

Ich habe genug gesehen. Das hier ist ein teuflischer Ort, ohne Luft, ohne Seele, wie das Innere von Pamela Gellers Kopf. Wir müssen hier raus. Für einen kurzen, fürchterlichen Moment stecken wir im Aufzug fest mit einigen von Trumps jungen schwulen Jünglingen. Im Schneckentempo zwischen den Etagen. Der "Spectator"-Journalist neben mir fröstelt in seinem zugeknöpften Hemd - eindeutig fragt er sich, ob er bereits tot ist und für immer gefangen in dieser sehr speziellen Hölle für böse Liberale, die ihre Schuld nicht abgebüßt haben.

"We're here! We're queer! Your politics are really weird!"

In der feuchten Dunkelheit auf dem Platz vor der Halle haben sich ein Dutzend junger Aktivisten zu einem spontanen Protest versammelt, bedeckt mit Schweiß und Glitzer. Erschütterte Presseleute stolpern auf die Straße. Die Journalistin eines großen Mediums bricht in Tränen aus. "Da ist soviel Hass", sagt sie, als ein paar vom Glitzerprotest sie trösten. "Was passiert in diesem Land?"

Was in diese Land passiert, ist vorher passiert. In anderen Ländern, in anderen unruhigen, gewaltvollen Zeiten. Dann, wenn sich frühere Sicherheiten lösten und Wahnsinnige das Ruder übernahmen. Was passiert, passiert, wenn Unaufrichtigkeit sich bewaffnet und auf Ignoranz trifft.

Donald Trump ist der Gordon Gekko der Aufmerksamkeitsökonomie, nur hat er selbst die Kontrolle verloren. Der Kulturkampf, den wir erleben, wird mit Arglist geführt von schlechten Schauspielern, die sich selbst längst nicht mehr ans Drehbuch halten. Und er hat gerade erst begonnen und es wird viele Flüchtlinge geben.


Der hier leicht gekürzte Text erschien im englischen Original zuerst auf der Plattform medium.com.
Übersetzung: Eva Thöne


Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 04363.html
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