Ayahuasca-Ritual als Trauma-Heilung Oder: das Ich ist tot!

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Ayahuasca-Ritual als Trauma-Heilung
Oder: das „Ich“ ist tot! Viva das Leben!


(dies ist nochmal der gleiche ein bisschen verarbeitete Bericht den ich bereits in df veröffentlich habe)

Vorgeschichte:

Von der Ayahuasca-Zeremonie habe ich zum ersten Mal von meinem Geliebten gehört. Es war vor 3 oder 4 Monaten. Er war sehr krank: metastasierende Krebs. Heilungschancen waren offiziell gleich Null, aber wir haben auf Wunder geglaubt. Da hat er zum ersten Mal von der Ayahuasca-Zeremonie gesprochen. Diese Zeremonien sollen einen sehr starken Heilungseffekt haben. Vielleicht wäre es unsere Rettung? Ich habe im Internet recherchiert und auf eine Mail-Adresse von dem Zeremonie-Organisator in Holland gestoßen. Habe ihn gemailt ob es welche Zeremonien in der nähen Zukunft gibt und nach einiger Zeit gab es Antwort: ja, im Mai, mit einem bekannten Schamane. Ich habe mich so gefreut mit meinem Geliebten zusammen hinzufahren.

Leider nach 2 Monaten war es dazu zu spät. Es ging ihm immer schlechter und in einer Nacht, früh am Morgen, ist er gestorben. Vielleicht war es gut so: so vieles wurde ihm erspart und es war eine leichte Tot… In seiner Situation ist das ein Segen… Nur freuen konnte ich mich nicht. Ich bin in eine Hölle gestürzt, weil ich ihn für immer verloren habe. Alles was ich mir seit dem Tag gewünscht habe war: er soll mich mitnehmen! Einfach mitnehmen, da dieses Dasein einfach unerträglich geworden ist!

Da dachte ich an die Ayahuasca-Zeremonie und entschied mich doch hinzufahren, für uns beide. Ich habe auf eine Heilung gehofft, die mein seelischen Schmerz lindern konnte. Ich habe mir die Reise gebucht, und kaum mehr darum gekümmert. Alles geschah wie im Nebel und ich konnte nichts planen oder an die Zukunft denken. Ich wusste nicht was mich dort erwartet.

Zwei Wochen vor der Reise habe ich unter den Sachen meinen Geliebten die Kopie eines Buches gefunden. Die ersten und die letzten Seiten fehlten, so dass ich weder weiß wie das Buch heißt noch wer sie geschrieben hat.
(jetzt weiß ich dass es "The Psychedelic Experience":
A manual based on the Tibetan Book of the Dead By Timothy Leary, Ph.D., Ralph Metzner, Ph.D., & Richard Alpert, Ph.D. ist)

Es ging um die Erfahrung mit psychedelischen Substanzen, wobei diese Erfahrung mit den Zuständen nach dem Tod aus der Sicht des tibetischen Totenbuchs erklärt wurde. Für mich war das ein Segen und ein Zeichen von meinem Geliebten. Das Buch habe ich sehr aufmerksam durchgelesen und es war wirklich spannend und hilfsreich. Durch dieses Buch konnte ich mich bestens auf die Schamanenreise vorbereiten. Ich bin sicher, dass ohne dieser Vorbereitung hätte ich viel weniger von der Erfahrung mitgenommen und wahrscheinlich gar nicht die Wirkung erzielt die ich mir gewünscht habe.

So, das war’s mit der Vorgeschichte. Die Reise darf beginnen!

Die Zeremonie:

Angekommen in der kleinen Stadt in der Nähe von Groningen wurde ich mit anderen Leuten, die an der Zeremonie teilnehmen wollten abgeholt und in das Zentrum „Baba Jaga“ geführt. Alles war für mich neu, interessant und fremd. Viele Leute, einige sahen wie Hippi aus, anderen „normal“. Alle sind freundlich, manche auch ziemlich verzweifelt wie ich.

Der Zeremoniesaal sah folgend aus: großes Zimmer mit Kamin, im Zentrum wurde später ein Altar gebaut mit den Pflanzen aus dem Urwald und der Ayahuasca Liane. Daneben war Platz für die Kohle aus dem Feuer, das geglüht hat und immer wieder nachgefüllt wurde. Im Kreis an den Seiten des Zimmers lagen Matratzen und daneben Eimer und Klopapier. Die Decke war rund und gewölbt. Die Eimer waren dafür gedacht, dass man sich darein übergeben sollte. Es hat mich zum denken gebracht: was mache ich hier? Na ja, ich will doch das Neue ausprobieren! Und was mit mir passiert war mir sowieso ziemlich egal... Vorher wurden wir darauf hingewiesen mind. 5h vor der Zeremonie nicht zu Essen. Später habe ich erfahren, dass es besser ist sogar 2 oder 3 Tage zu fasten. Aber das mit 5 stunden war auch OK.

Wenn es dunkel wurde haben sich alle im Zimmer versammelt und der Schamane (ein bekannter Schamane Hilario aus Ecuador) erklärte uns (mit dem Dolmetscher auf englische) über den Sinn der Zeremonie. Wir bekamen flüssigen Tabak zum einatmen. Es brennte stark und zwang zu den Tränen und Niesen, aber der Geist wurde sofort so klar als ob es 10 Uhr morgens nach dem Sport wäre. Ich setzte mich in die Lotus Position und versuchte zu Meditieren um mich seelisch auf die Zeremonie vorzubereiten. Erstaunlicherweise ging es sehr gut obwohl ich aufgeregt war und das Zimmer voll war. Die Liane begann zu wirken noch bevor ich sie gekostet habe. Ich bin ganz ruhig und zufrieden geworden.

Dann wurde das Getränk ausgeteilt. Kleine Portionen – nur ein Paar Schlucks. Schmeckte unangenehm, aber nicht zu ekelig. Ich führte meine Meditation fort. Schon nach kurzer Zeit begannen sich die ersten Leute zu erbrechen und es wurde ziemlich unangenehm. Ich fühlte mich noch gut, die Geräusche haben mich aber gestört. Langsam wurde das ganze immer schlimmer. Nicht wirklich schlecht, aber ein bisschen übel und schwindlig. Bald drehte sich alles vor mich hin, mit geschlossenen Augen konnte ich die grünen beweglichen Muster sehen. Aber noch ganz klar im Kopf. Ich dachte ich werde doch nicht erbrechen, weil ich gar kein Bedürfnis dazu hatte.

Bei geschlossenen Augen sah ich die komischen Vögel, die sich um mich herum sammelten – wie im Traum. Sie kamen immer näher und quietschten unangenehm, die Welt drehte sich immer stärker! Ich konnte keinen Halt finden und das Stöhnen von meinen Gruppenkameraden wurde immer stärker. Plötzlich dachte ich an das Ayahuascal-Liane. Weiß nicht woher diese Gedanke kam, aber ich schrie in meinem Kopf laut: „Ayahuasca!“ und in dem Moment bildete sich irgendwo in mir etwas und schoss wie aus der Pistole heraus. Ich hatte das Gefühl dass ich mit diesem Erbrechen nicht viel zu tun hätte sondern alles von draußen beobachtet habe. Dann habe ich mich ein bisschen besser gefühlt, musste mich aber noch mehrmals übergeben und die Welt drehte sich immer noch. Die Vögel kamen immer näher und die grünen Muster waren zwar schön, aber bedrohlich beweglich. Ich habe sehr stark nach einem Halt gesucht, nach einem Punkt an dem ich mich festhalten konnte. Den gabs aber nicht. Ich versuchte zu meditieren, es war mir aber zu übel. Es dauerte eine Ewigkeit und kam mir wie eine Hölle vor. Komische Wesen und Vögel strömten überein auf mich hin. Ich hatte gar keine Angst, ich war vorbereitet auf solche Dinge und wusste dass alles nur meine Einbildung ist. Es war aber sehr unangenehm und schwindlig.

Ich habe das Gefühl gekriegt dass ich gleich sterben werde. Ich hatte keine Angst davor, habe mich sogar gefreut. Wenn ich das verstanden habe, sah ich mein „ich“ sich gekrümmt hinter meiner Schulter liegend. Ich wusste – das ist es, was sterben soll. Und habe mich gefreut dass es endlich stirbt! Ich habe alle meine Gedanken, Trauer, Ängste, Einsamkeiten, Wünsche und Anhaftungen diesem toten Wesen zugeschrieben und sein Sterben zugelassen. Das „ich“ hat seine Kontrolle über mich aufgegeben und war tot! Das war eine unglaubliche Freude! Die Welt drehte sich immer weiter, aber es gab kein „ich“ das nach dem Anhaltspunkt suchen wollte! Die Übelkeit war auch noch nicht weg, hat aber kaum mehr gestört. Ich habe einfach alles geschehen lassen und nichts mehr kontrolliert.

Immer wieder kamen zu mir die Bilder aus meiner Kindheit die mit meiner Oma (die vor 10 Jahren gestorben ist) assoziiert wurden. Es war beruhigend. Ich habe auch an meinen verstorbenen Geliebten gedacht, an die Momente wenn es ihm schlecht ging und ich ihn umarmt habe. Ich habe mir vorgestellt dass er mich so umarmt und bin friedlich eingeschlafen. Oder weitergeträumt. Ich hatte ein Gefühl er wäre dabei und beschützte mich.

Der Schamane hat angefangen Musik zu machen. Vielleicht hat er das auch früher gemacht – habe das aber nicht mitgekriegt. Es waren wunderschöne Töne, die sich zu einem Bild umgewandelt haben. Die Noten wurden zu den Bäumen aus dem Urwald, die mit grünen Lianen überwuchsen. Die Blätter traten hervor und wurden immer dichter. Der Vögelgesang mischte sich zu der Schamanenmusik zu und erfreute sie. Die ganze Gruppe befand sich in einem großen Käfig mitten im Urwald. Die Menschen wurden zu Vögelwesen, die auf dem Boden liefen und sich quellten. Sie waren traurig und füllten sich nicht gut, aber es war klar dass es ihnen bald geholfen wird und das ganze nur ein Übergangzustand ist. Ich habe ein starkes Mitgefühl mit diesen armen Vögeln entwickelt und versuchte ihnen zu helfen. Ich mischte meine Musik zu dem Schamanenläuten, so was wie ein Rhythmus „Cha-Cha-Cha-Chi-Chi-Cha...“ und schickte sie in den Urwald. Ich zeigte mit den Fingern in den Himmel und Meine Musik wurde zu den kleinen Vögeln und Schmetterlingen umgeformt die sich freuten und in dem Wald sangen und die Bäume tanzten mit.

Es war unglaublich schön und „ich“ war nicht dabei. Das „wahre Ich“ war das Ganze, die ganze Wald, die Musik, alle Lebewesen – alles ohne es in die Individuen zu trennen und das in die Gedanken zu fassen! Einfach ein wunderschönes Spiel der Natur! Etwas Unbeständiges, nicht individuelles, Freundliches und ich-loses! Einfach ein Spiel!

Ich habe gefühlt, dass es das gleiche ist, was bleibt wenn das "ich" auch durch den endgültigen Tod durchgeht. Zwischendurch dachte ich an meinen Geliebten, habe nach ihn gerufen. Es gab aber keine Antwort. Nur das Gefühl dass das ganze irgendwie zusammengehört. Es ist aber so unwichtig geworden und es war mir klar, dass all Schmerz dass ich durch die Trennung gehabt habe nur von dem "ich" ausgegangen war, das den Besitz über die anderen ergreifen wollte. Wenn ich das verstanden habe, habe ich nur gelacht und in dem schönen Vögelkäfig weiter gespielt. Er war da - nur nicht als Individuum sondern als ein Teil dieser wunderschönen Welt.

Ich habe gefühlt, dass er meinen größten Wunsch erfüllt hat – und mich doch mitgenommen hat! Und jetzt liegen unsere beide „ichs“ zusammen tot unter dem Baum im hellen Wald, und sind ziemlich glücklich miteinander. Die Blätter fallen auf sie hinab und man kann sie nicht mehr voneinander trennen. Man kann mit ihnen Mitleid haben, sie zärtlich streicheln – und als grüne Schmetterlinge fröhlich weiterfliegen, weil in der Wirklichkeit es gar keinen Tod gibt!!!

Zwischendurch fällte man natürlich wieder in die Tiefe hinein und musste ganz schon viel Kraft aufwenden um sich festzuhalten. Da haben mir auch die Ratschläge aus dem Buch geholfen, sowie Mantras und Meditation. Irgendwann konnte ich mich mit der ganzen Gruppe und der Welt verbunden fühlen. Dann befand sich mein Herz im Zentrum des Käfigs, brach sich zusammen und daraus wuchs die Auyahuaska-Liane, ganz hoch und mit Blättern umgeben. Die Liane ist durch den Käfig durchgewachsen und hat ihn durchgebrochen. Es war wunderschön und vollkommen befreiend! Alle Vögel sind rausgeflogen und freuten sich darüber und sangen laut! Und wir haben weiter glücklich gespielt und gesungen! Der Schamane machte herrliche Musik, zwischendurch begannen auch die Teilnehmer wunderschön zu singen, wobei man sich mit dem Gesang „eins“ fühlte und starke Dankbarkeit entwickelte. Es war so als ob die ganze Welt mitsingt und sich freut. Wir lächelten einander zu und trösteten die Menschen denen es noch schlecht ging.

Der Wunsch den anderen zu helfen, das Mitgefühl, war unglaublich groß und das ganze Ekel-Gefühl und die Unangenehmigkeiten verschwanden spurlos. Ich legte mich auf den Boden und vereinigte mich mit der Erde, ich fühlte meinen Körper in sie reinfließend wie eine flüssige Masse. Es war schön und beruhigend.

Das ganze dauerte eine ganze Nacht, kam mit aber vor wie die Ewigkeit. Ich glaube dass es immer noch dauert, bzw. hat weder Anfang noch Ende. Nur der Zugang ist jetzt verschlossen. Es reicht aber mich nur daran zu erinnern – und ich kann den Zustand fast wieder einstellen.

Am nächsten Tag fühlte ich mich ganz anders als an dem Tag davor.

Es war unglaublich! Noch mehrere Wochen danach reichte es mir nur daran zu denken, dass mein „ich“ bereits gestorben ist und ich versuchte all die Anhaftungen und Spiele die wieder entstehen diesem toten „ich-Körper“ zuzuschieben – und ich war wieder frei! Und glücklich! Ich lief auf der Straße und lachte vor Glück! Ich weiß jetzt dass ich meinen Geliebten nie verloren habe, dass das ganze nur ein Spiel ist. Ich weiß auch dass er bei mir ist und mir hilft aus diesen wunderschönen Urwald.

Die Auswirkungen dieser „Schamanen-Reise“ spüre ich immer noch (wenn auch nicht so stark wie in den ersten Wochen) auch jetzt, ein Monat danach, und entdecke immer wieder neue Aspekte des Geschenkes, das die Mutter-Ayahuasca mir gegeben hat.

:herzen:

Ich wurde diese Erfahrung auch jedem raten der sich für solche Sachen interessiert und sich klar ist was er davon will. Einige haben schöne Visionen gesucht, andere - neue Erfahrung. Man findet meistens was man sucht, aber soll sich, glaube ich, klar machen was das ist. Sonst findet man das falsche ;) Ist aber nur meine Meinung.

Ich selber wurde den Versuch unbedingt wiederholen wenn ich dieses vollständig verarbeitet habe
Every Passing Minute Is Another Chance To Turn It All Around

Re: Ayahuasca-Ritual als Trauma-Heilung Oder: das Ich ist to

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Ich danke dir für deinen tollen Reisebericht. Er ist wirklich gelungen. Sehr bildhaft beschrieben vermittelt er sehr offen und ehrlich eine Vorstellung von deiner Reise.

Und was ich am meisten an deinem Bericht/deiner Erfahrung schätze ist, dass hier ein wunderbares Beispiel für die Mächtigkeit psychedelischer Erfahrungen in Bezug auf selbsttherapeutische Prozesse vorliegt.

:herzen:
happiness is the absence of resistance

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