Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

1
Eines schönen tages beschloss ich, in anbetracht der tatsache, dass gerade pilzzeit ist und ich sehr günstig an psilocybe cyanescens rangekommen bin, mir eine für meine verhältnisse hohe dosis einzuverleiben. Leider besaß ich keine batterien für meine waage, so legte ich mir einen haufen kleiner pilze zurecht. Schätzungsweise 1.5 gramm. Ich aß die pilze sogleich. wesentlich weniger lecker als meine sonstigen stammpilze (psilocybe semilanceata), aber durchaus zu ertragen. Ich kannte den geschmack zwar schon, habe jedoch früher meist cyanescenspilze in kapseln konsumiert. Wenig später entschied ich kurzerhand, dass wir hier ja schließlich nicht auf einem kindergeburtstag sind und aß alle weiteren pilze, die ich fand. Viel hilft viel.

Zurück zur sache. Von nun an beschreibe ich das geschehen in der gegenwartsform, um die dramatik zu verdeutlichen. Ich bin also alleine zuhause, mutter ist ausgeflogen, bruder beschäftigt sich wie immer mit onlinespielen. Ich sitze vor dem pc, chatte ein wenig, lese im df und bemerke langsam, wie mein kopf immer abgeschweiftere gedanken fabriziert. Mein zimmer ist unordentlich und unstrukturiert. Genauso wie mein Geist. Ich befinde mich momentan in einer Beziehungskrise. Für mich ist liebe zu allen dingen dieser welt der schlüssel für ein spirituelles bewusstsein. Die liebe für die welt ist die folge der wahrnehmung der schönheit. Dies ist meine weltanschauung, die sich in vielen psychedelischen erfahrungen herauskristalisiert hat. Doch was tun, wenn es sich anbahnt, dass die große liebe, die man zuvor für das maß aller dinge hielt, langsam aus den fugen gerät? Dafür nahm ich die pilze. Ich bin depressiv, möchte mir von den pilzen den kopf aufflexen lassen. Zerstörung oder heilung. Das ist mir eigentlich egal. Ich bin passiv, labil, unsicher, desillusioniert und nihilistisch. Genau die richtigen vorraussetzungen für einen hoch dosierten psychedelischen trip. Darüber denke ich gerade nach, als die pilze zu sagen scheinen: „FUCK YOU!“. Es geht los. Von nun an kann ich mein selbstmitleid genausogut anzünden, es bahnt sich eine wende an.
Die Pilze beginnen ihren kampf mit meinen abwehrmechanismen. Ich lenke mich mit lesen ab, merke aber, dass ich nichts mehr verstehe, was ich lese. Trotzdem macht es spaß. Die konversationen im DF kommen mir absurd vor, als würden hitler und jesus zusammen ein mensch ärgere dich nicht spiel abhalten. Mir wird es zu anstrengend, ich lege mich mein bett. Das zerfließen setzt ein.

Ich spiele mit abstrusen gedanken herum, stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich mein gehirn fühlen könnte, wie es in einer gemütlichen nährlösung schwimmt und vor sich her schwabbelt. Embryonale gefühle setzen ein. Mein bett ist nun der nährboden. Eine mischung aus vergiftung und absoluter transzendenz mit meiner nährlösung. Hat mir jemand gift in die fruchtblase geschüttet, in der ich liege? Abstrakt. Gleichzeitig wohl angenehm, aber auch gefährlich. Ich fühle so langsam, dass es keinen ausweg gibt. Wie immer. Also lasse ich los und versinke im Brei. Ein blick auf die uhr bringt keine erkenntnis über die tripphase. Ich versuche mich von allen unsicherheiten loszulösen und es klappt. Ich liege in einer hängematte, so kommt es mir vor. Geschaukelt von meinen eigenen selbstzweifeln und meiner existenziellen krise. Soll ich diesen zustand jetzt lieben oder hassen? Soll ich meine scheiß weltanschauung der liebe hassen oder lieben? Macht das überhaupt einen unterschied?

Ich sehe nicht mehr das, was ich sehe, sondern das was ich fühle. Parallen zum expressionismus werden mir bewusst. Ich nehme in diesem psychedelischen zustand wahr, was die welt mir für ein gefühl vermittelt, nicht wie sie aussieht. Dabei fällt mir auf, dass das jedem menschen so geht. Wir befinden uns in einem emotionalen expressionismus. Ein dillemma oder ein segen. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich bin ein rationalitätsopfer. Ich entschließe mich, in die badewanne zu gehen um dort den peek zu durchleben, denn ich fühle ganz klar, dass er im anrollen ist. Die phase der vorbereitung, also wasser in die badewanne einlassen etc, kommt mir vor, als würde ich einen tempel reinigen, damit da gleich mönche drin rumsitzen können, um sich mit gott zu beschäftigen.

Wenig später liege ich wieder in einer nährlösung. Mir wird klar, dass ich die kontrolle komplett verloren habe. Ich spiele mit dem wasser rum, mit dem schaum, steigere mich in die bewegungen rein, die der schaum bildet. Doch alles hat keinen charakter mehr von leichtigkeit. Alles ist äußerst schwierig. Mein kopf fühlt sich an, als würde er sehr hochfrequent schwingen. Ich tauche mit dem gesicht ins wasser ein, bekomme angst, weil ich nicht weiß, wie lange ich schon unter wasser bin und ob ich nicht mal langsam wieder atmen müsste. Der druck wird immer stärker, werde ich platzen? Alles verdichtet sich. Das zimmer wird blutrot, der wasserhahn verzieht sich und verwandelt sich in eine pistole. Wahr ich eben noch in der badewanne so fühle ich mich jetzt im vorraum der hölle. Meine beziehungsprobleme, meine weltanschauungsprobleme, meine trip. Alles konzentriert sich zu einer unfassbaren belastung. Man kann fast von verdichteten schmerzen der ganzen weltgeschichte sprechen, ich suche ein ventil. Doch es gibt keins. Also schreie ich. Und erschrecke mich über mich selbst. Mir wird klar, dass ich viel öfter mal einfach losschreien sollte. Ich weine. Gleichzeitig fällt alles von mir ab. Das badezimmer verwandelt sich in ein römisches dampfbad, ich fühle die anwesenheit von dicken männern, die sich über politische probleme unterhalten. So, als seien es die meinen. Sie reden darüber, als ginge es um ein simples problem, wie einen bus zu verpassen. Oder ein volk auszurotten. Ich werde selbst zum römer.

Die szenerie scheint zu explodieren. Slles dampft und wird langsam unglaublich klar. Der druck lässt nach, die anderen römer lachen und juchzen. Diesmal nicht mehr über mich, sondern mit mir. Ich habe das problem vollständig zugelassen, denke ich mir. Ich denke an theoretische strategien, coexsysteme / verdichtete erinnerungen zu durchleben, die sich danach auflösen. Grotesk. Soll mir sowas helfen?? Erstmals habe ich es geschafft, mich dem schmerz vollständig zu stellen. Ich liege im wasser. Denke mir: „sei der schmerz, sei wie wasser“. Es geht mir gut. Es geht mir bestens. Ich liebe und lebe den schmerz. Alles ist gut. Ein shizophrenes gefühl. Gut und schlecht gibt es nicht mehr, nur noch anspannung und entspannung.

Nach diesem knackpunkt verlasse ich die badewanne. Ich fühle mich befreit und rufe meine freundin an, immernoch nicht wirlich im stande zu sprechen, versuche ihr klarzumachen, dass die wahrheit so einfach ist, dass man sie nicht sieht. Wir sind viel zu kompliziert für das erkennen von quasi nichts. Obwohl eigentlich im moment das gegenteil von nichts passiert. Gerade ist ALLES passiert. Ich fühle mich, als hätte ich eine intergalaktische schlacht mir mir selbst ausgetragen. Und gewonnen.
Staunen über die Fülle möglicher Erfahrungen auf diesem wunderbaren Planeten in diesem einzigartigen Leben.

Re: Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

2
Sehr schöner TR, hat mich wirklich fasziniert...

Du hast im DF einige male erwähnt für wie wichtig du es hältst einen Bad Trip bis zum Ende durchzustehen, alles zuzulassen. War da dieser Trip einer von denen die der Auslöser dafür waren?
„Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!“

Re: Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

3
Hm vielleicht nicht unbedingt ein auslöser. Aber auf jedenfall war dies ein trip, der für mich einen meilenstein darstellte. Denn zum ersten mal hab ich auf trip WIRKLICH alles zugelassen. Davor wusste ich nur theoretisch, dass man die auf trip aufkommenden gefühle vollständig zulassen muss, damit sie die kraft verlieren, bzw integriert werden und einem in zukunft nicht mehr zu schaffen machen. Dieser trip war für mich ein durchbruchserlebnis. Ich war zur zeit dieses trips in einer grundsätzlichen krise. Sowohl in einer beziehungskrise, als auch in einer weltanschaulichen krise, die aus der beziehungskrise heraus entstand. Liebe war (bzw ist jetzt auch wieder) mein weltbild, mein schlüssel zur wahrheit quasi. Wenn wir selbstlos lieben, können wir nicht falsch liegen. Die krise, die sich auf zich verschiedenen ebenen ausbreitet, hat mich daran zweifeln lassen. Auf dem trip merkte ich dann, wieviele ungelöste schwerzhafte gefühle ich in mir trug, die sich dann auflösten, als ich sie erlebt und rausgeschriehen hatte.
Staunen über die Fülle möglicher Erfahrungen auf diesem wunderbaren Planeten in diesem einzigartigen Leben.

Re: Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

4
Sehr schöner Bericht. Mehr Absätze würden das lesen angenehmer machen. ;)

Das mit schreien kenn ich gut von mir selber. Bei mir ist es ein innerliches schreien. Ich steigere mich soweit in einen Gedanken rein, bis ich das Gefühl habe, ich werde ihn nur noch los wenn ich ihn laut herausschreie. Nach aussen muss sich das dann allerdings nicht in einem Schreien äussern, sondern es kann als Röcheln, Flüstern oder wirklicher Schrei kommen. Innerlich bin ich dann "befriedigt", wie beim "Scheisse" schreien, wenn etwas daneben gegangen ist.

Re: Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

5
In der Tat ein sehr schöner Bericht.
Die Struktur des "Horrortrips" wird sehr gut deutlich und dieses Mitgehen müssen, dass man das Gefühl und alles was daran hängt zulassen muss habe ich auch sehr intensiv erfahren.

Was mich noch interessieren würde: Hattest du danach schon weitere Trips? Wie liefen die? Kam von der Struktur, die diesen Trip dominierte nochmal was durch oder hat es sich mit einem Mal ganz aufgelöst?
panta rei - alles fließt
sola dosis fazit venenum - Die Dosis macht das Gift

und ganz wichtig: Normal sein kann Jeder ;-)

Re: Pilze - Sei der Schmerz, sei wie Wasser!

6
Das war der bisher der letzte trip, bei dem ich deratig hoch dosiert habe (waren insgesamt nachher bestimmt 3 gramm cyanescens). Sonst dosier ich nie so hoch bzw reagiere relativ empfindlich auf psychedelika. Die heftige dosis ging natürlich mit einer entsprechenden tiefe einher, ich bin da in sehr tiefe schichten meines unterbewusstseins vorgedrungen. Und wie wir ja alle wissen, lauern da nicht nur schöne dinge ;)
Also um deine frage zu beantworten: nein bisher sind gefühle von solch intensiver qualität nicht wieder aufgetaucht, aber ich habe wie gesagt danach auch nicht mehr sehr oft psychedelika genommen (einmal pilze noch danach und einmal acid auf party zu silvester. Beides in einem setting, wo solche erfahrungen normalerweise auch nicht vor kommen bzw nicht forciert werden. Und beide male lowdose). Die besagte allumfassende krise hab ich allerdings überwunden :)
Vielleicht kann ich demnächst mehr dazu sagen, habe mir neulich ne gute portion pilze besorgt, weil ich eigentlich mal wieder trippen wollte, hatte dann aber bisher doch noch keine lust.
Staunen über die Fülle möglicher Erfahrungen auf diesem wunderbaren Planeten in diesem einzigartigen Leben.

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste

cron