Von Denk - und Urstühlen 8)

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Ein Thema, das mir in letzter Zeit öfter auftaucht.

Das erste mal las ich davon in Christian Rätsch's Buch Ayahuasca.
Im Kapitel "Ayahuasca-Visionen und Kunstreflektionen" schreibt Claudia Müller-Ebeling auf S.129:
In jeder maloca gibt es zwei "Denkstühle" (bancos), die an den beiden östlichen Mittelpfeilern auf der männlichen Seite ihren festen Platz haben. Es sind keine schlichten Sitzgelegenheiten, sondern Ritualobjekte, deren Gebrauch Schamanen und bedeutenden Persönlichkeiten der indianischen Gemeinschaft vorbehalten ist. Die "Wissenden" (sabedores) der maloca-Gemeinschaft lassen sich an bestimmten Tageszeiten (meist abends) auf ihnen nieder, um im berauschten Zustand mit den Wesen der unsichtbaren Ober- und Unterwelt zu kommunizieren. Sie selbst umschreiben die Versenkung in die visionären Bilder als "denken", daher auch die Bezeichnung "Denkstühle".
Weiter schrieb sie, daß man diese Stühle eher als Hocker oder Schemel bezeichnen müsste, da sie über keine Rücken- oder Armlehne verfügen und man auf ihnen eher hocke als sitze. Es handele sich um "kleine Hocker von 15 bis 30cm Höhe, die aus einem einzigen Stück Holz gearbeitet sind". Zwei Typen dieser rituellen Hocker seien im amazonischen Tiefland verbreitet:

* Im Putumayo-Gebiet von Kolumbien: schmucklos mit einer runden Sitzfläche, die telleratig vertieft ist und auf zwei nach unten breit auslaufenden Stellflächen ruht.

* Bei den Indianern der Tukano-Sprachfamilie: bestehend aus einer bemalten rechteckigen Sitzfläche von etwa 30-40cm Breite & vier Beinen, paarweise an der Längsseite kufenartig verbunden. Das Muster als Ganzes stelle den Regenbogen atmosphärischer Einflüsse und das Wirken der kosmisch und mythologisch bedeutsamen Boa dar.

Die Denkstühle, so Ebeling weiter, "stellen göttliche Orte der Kraft dar, die den Fokus des Austauschs zwischen Menschen und Göttern markieren. Sie repräsentieren ein "Inventar von Denktechniken" und ein "zentrales Kapitel der Entwicklung des Bewusstseins". Ihr schamanisch-ritueller Gebrauch reiche bis in präkolumbische Zeiten zurück.

Sie weist darauf hin, daß die Persönlichkeit, die auf ihm Platz nehme sich in einen Jaguarschamanen, oder einen Vogel verwandelt(e), entsprechend der jeweiligen Gestaltung des Sitzes und verweist auf ein "Exemplar der Taino im Pariser Musée de l'Homme", das eine solche Verwandlung illustriere. Eventuell meinte sie diesen hier:

Bild

.....

Auch auf ihrer letzten Reise wurden die "Experten der Verwandlung" auf ihnen hockend bestattet, was anhand von Mumienfunden aus vorspanischer Zeit bekannt wurde. "Somit reicht die Funktion und Bedeutung dieser rituellen Hocker über den Tod hinaus", schliesst Müller-Ebeling diesen Artikel.

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Mir begegnete das Thema, nicht ganz mehr im ursprünglichen Sinne, dann wieder in Form einer Methode für den Umgang mit kreativen Ideen, die durch Walt Disney recht bekannt wurde. Hier ein Artikel dazu:

Denkstühle nach Walt Disney

Eine Methode, die wie ich finde auch zu eigener kreativer Variation anregt.

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Kürzlich kam mir dann das Thema "Denkstuhl" erneut zu Bewusstsein, als ein Freund von einer Ghana-Reise wiederkehrte und mir sichtlich inspiriert etwas von Stühlen erzählte. :red:

Seine Frau, eine Hindu, ist Abkömmling der Aschanti-Kultur und nahm ihn in ein Museum mit. Zentraler "Gegenstand" von religiöser, auch machtpolitsch-historischer Bedeutung dieser Kultur war/ist ein goldener Stuhl, der einst vom Himmel gefallen sein soll, und der den Boden nicht berühren darf. Deshalb steht er ständig auf der dazugehörigen Elefantenhaut.

Außerdem berichtete er von vielen kleineren "schemelartigen" Stühlen, die an jene "Denkstühle" erinnern.

Hier ist eine Seite zur Symbolik einiger dieser Stühle.

Und hier eine mit vielen Fotos von interessanten, kunstvollen Variationen aus ganz Afrika.

Es ist einfach nachzuvollziehen, bzw. zu ahnen wie es sein kann, meinetwegen während einer entheogenen Erfahrung auf einem solchen "Kraftstuhl" Platz zu nehmen. Ebenso kraftvoll sind ja die Ursitze schlechthin: Steine, Stämme, Wurzeln, Stümpfe, Erdsitze etc, sofort fällt einem da auch der Denker ein, der auf dem Stein sitzt und "brütet" oder Entscheidungen fällt.

Wenn ihr ein paar interessante Infos, vielleicht aus anderen Teilen der Welt, oder Erfahrung in Hinsicht auf dieses Thema habt, immer rein damit. Ansonsten betrachtet diesen Thread einfach als Selbstgepräch. ;)

Re: Von Denk - und Urstühlen 8)

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Der beste "Denkstuhl" auf dem ich je saß, war zweifelsohne der Moos-Stuhl, den wir auf dem Gipfel einer verborgenen Waldkuppe abseits der Wege vorfanden. Er bestand aus einem alten verwitterterten Stück eines Baumes, den einst der Wind oder der Blitz gebrochen hatte. Wir waren gerade auf dem Peak der Pilzerfahrung und hatten uns auf dieser Kuppe, man glaubt es kaum wenn man sie sieht, verlaufen und fanden den Weg, den wir hochgegangen waren nicht herunter. Es war ringsum mit Sträuchern und Bäumen bewachsen, wie in einem Labyrinth und es gab nur 2 Zugänge.

Da es dort oben ziemlich schwül war, beschlossen wir zu rasten und da sahen wir ihn auch schon: Einen mit feinsten Moosen bewebten Sessel, der dort wie der Möbel eines Hünen auf dem Gipfel stand und einlud hier Platz zu nehmen, auf dem Gipfel des Berges (und des Pilzes:). Schwer zu beschreiben, was es bewirkte darin zu sitzen, ich habe nie besser gesessen, als in diesem Natursessel.

Der Hügel war das Refugium eines Meistersängers und Stimmenvirtuosen, der auf dem Wipfel einer hohen Fuhre, unter der wir saßen, sein kunstvolles, kristallklares Lied anstimmte. Es war eine Singdrossel, aber nicht irgendeine. Ich habe nur selten ähnlich meisterhaften Sang & Ruf gehört. Man sagt Singdrosseln begännen als Dichter, wenn sie noch jung sind, in dem sie Geräusche ihre unmittelbaren Umgebungen nachahmen, und später in ihren vielstrophigen Gesang einbauen. Vom Dichter entwickeln sie sich dann zum meisterhaften Sänger.

Ich las mal, das irgendwelche Ornitologen festgestellt hätten, das Vögel am schönsten singen, wenn keine Motive, die mit Nahrungssuche, Reviermarkierung, Lockrufen etc. zu tun habe, im Spiel sind, sondern der Vogel um des Singens Willen, der Freude am Leben wegen, sänge. Und genau das war es, was wir dort droben auf dem Gipfel inniglich in unseren Herzen fühlten... Der Vogel flötete es wahrhaft von den Wipfeln.

:herzen:

Re: Von Denk - und Urstühlen 8)

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der beste denkstuhl....ist mir mein allerwertester samt steiss.
yep!

die vögel...ihr singen...beeindruckend, wenn man nach durchwachter nacht lauscht dem beginn des konzertes.

einer nach dem anderen stimmt da ein:
zuerst zaghaft und alleine der gartenrotschwanz, dann ihm erwiedernd das rotkehlchen, dann singdrossel, zaunkönig, kuckuck, kohlmeise, buchfink, usw.
dann, das kunstvoll, verspielte geflecht hat sich weiter und weiter entfaltet, steigert sich die pracht in schier qualvolle spannung hinein, und, so doch jeder sein eigenes lied singt, ergänzt sich das bunte wirrwarr des rhythmisch flutenden flötens, zwitscherns, pfeifen und trillerns doch zu einem harmonischen ganzen, und wenn alles eingestimmt hat in den reigen...
jetzt, und mit ein bissi übung weiss der hörer, wann und ahnt diesen zeitpunkt schon im voraus:
gleich ist es soweit, jetzt schwillt das getöse nicht mehr weiter an, jetzt wird und muss er, der grösste singvogel unserer breiten, über dieses schöpferwort, das mutter natur durch tausend kleine kehlen spricht, ausrufen und vollenden das begonnene werk:

dann krächzt die krähe ihr heisseres "amen" in die rosige morgenröte.

welch grandioses bild, wie es den wissenden erbaut! :irre:

als ich es zum ersten mal bewusst hörte, es ist schon jahrzehnte her, ich erinnere mich noch genau, ich lag, wieder zuhause, nach einer auf acid durchgemachten nacht in einem viel zu lautem, verrauchten schuppen, im bett und ärgerte mich gerade darüber, wärend ich dem gezwitscher zuhörte, dass mir dieser genuss durch das klingeln in meinen ohren, die viel zu lange dem beat der boxen ausgeliefert waren, ein wenig vergällt wurde, als mich das gekrächze der krähe aufschreckte....und zugleich nicht aufschreckte, da es sich so folgerichtig und mühelos ins ganze einreihte, obwohl es doch so daraus hervorstach, als ich dieses spektakulum also zum ersten mal hörte, damals, glaubte ich noch an einen seltsamen zufall.

aber seither habe ich oft, ach so oft, dieses rätselhafte lied vernommen, mich in den schlaf wiegend und mir entgegen trällernd: "vergiss, vergiss", und es gipfelt jedesmal im rätselruf des schwarzen gesellen: "pass auf, pass auf".......
:denk:

Re: Von Denk - und Urstühlen 8)

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Das Singen des Singens wegen ist eine wunderschöne Demonstration der Hingabe an das Sein.

Mein schönster Sitz ist auf einem großen Stein. Dieser Stein ist der größte aller Steine, die in einer Art Kreis angeordnet sind - als ob ein Riese mit Kieselsteinen gespielt hätte. Eiszeit... Dieser Stein ist auch nur zu erklettern wenn der Steinkreis betreten wurde. Nicht außerhalb des Steinkreises. Ihn zu betreten ist nur über drei sehr enge Tunnel, mithilfe eines beherzten Sprunges, oder für den geübten Kletterer möglich. Jedenfalls bedarf es eines gewissen Aufwandes. Auf diesem großen Stein (vllt. ~8 Meter hoch und ~5 Meter breit) gibt es eine Mulde - eine Sitzmulde. Auf dieser lässt es sich wunderbar sitzen. Leicht geneigt und mit Blick auf den Himmel. Das Alter dieses Ortes liegt in der Luft und die Stimmung im Walde ist dabei immer die gleiche. Konserviert für die Ewigkeit. Ein Ort voller Energie und Magie.

Ansonsten suche ich seit Jahren nach einem Denk- und Lesesessel. Aus Holz und Leder. In einer leichten und eleganten Art. Bisher habe ich nur drei Exemplare entdeckt die meinen Vorstellungen entsprechen. Zwei stehen bei Freunden/Bekannten die ihn nicht rausrücken wollen ( :nene: ) und einer im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. :heul:

Die Menschen haben hierzulange einen arg vewirrten Sesselgeschmack.

Zu den Sitzgelegenheiten aus dem ersten Beitrag kommen mir zwei Aspekte zu Bewusstsein. Ich kann mir vorstellen, dass der Sitz durch seine Funktion auch eine Art von Energie aufnimmt und zum anderem hat es für den Be-Sitzer auch eine Bedeutung, die über die Bedeutung der Sitz-Gelegenheit hinausgeht und damit Einfluss auf seinen Geist hat. Ein Kraft-Stuhl und Reise-Mittel. Schöne Idee.
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