Die Angst vor dem Tod - Sigmadivertikulitis Operation

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3 Wochen fiese Magenschmerzen, Magendarmkrämpfe, immer wieder kehrendes Fieber und Schüttelfrost, brachten mich nach einer schweren Mandelentzündung, die ich etwa 4 Wochen vorher mit Antibiotika behandeln musste, an den Rand der Verzweiflung. Erste Diagnose vom Allgemeinarzt: Magendarmgrippe. Trotz fehlender Symptome wie Durchfall, Erbrechen. Nun gut, wenn man zum Arzt geht, sollte man der Diagnose auch glauben, sonst kann man sich den Arztbesuch sparen. In einer Woche sollte alles besser sein. War es auch. Für zwei Tage. Dann erneut Fieber, Darmkrämpfe, wieder kein Durchfall und kein Erbrechen. Nun gut, nach den Katastrophen der Vergangenheit sollte es mich nicht wundern. Imunsystem eh im wahresten Sinne des Wortes im Arsch, habe ich mich halt wieder selbst oder irgendwoanders angesteckt. Magendarmgrippe grasierte eh. Wieder eine Woche Schmerz und Leid vom feinsten, Verzweiflung, Schwäche, nichts mehr essen können, Gewichtsverlust - den ich verkraften konnte. Aber insgesamt ging es mir immer schlechter, ich wurde schwächer und schwächer. Langsam machte ich mir Sorgen. Magengeschwür? Bauchspeicheldrüsenkrebs? Bei all der Scheiße, bei all dem Schmerz, den ich in den letzten zwei Jahren durchlebt habe, hätte mich das nicht verwundert. Nach drei Wochen wurde mir dann wirklich mulmig zu mute. Es wurde einfach nicht besser, mein Zustand verschlimmerte sich mehr und mehr, bis ich so schwach war, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Dabei weiterhin starke Schmerzen im Darmbereich. Erneuter Arztbesuch, diesmal ein Internist. Großes Rätselraten. "Sie haben eine massive Entzündung im Körper, die Entzündungswerte im Blutbild sind 10 mal so hoch wie normal". Aber was ich denn nun habe, wusste er auch nicht. Antibiotika. Wenns nicht innerhalb von zwei Tagen besser werden würde, ab ins Krankenhaus.

Zeitsprung.

Dieser Krankenhausaufenthalt macht mich fertig. Man fühlt sich völlig ausgeliefert. Wie ein kleines Rädchen in einer riesigen Maschinerie, die man weder verstehen noch beeinflussen kann. Kafkaesk. Jeder Arzt erzählt einem etwas Anderes. Und als dummer Patient muss man sich darauf verlassen, was die Ärzte einem erzählen. Am Tag meiner Einlieferung mit dem Krankenwagen, den ich auf Grund von Kreislaufversagen selbst im liegenden Zustand gerufen hatte - das allein schon eine Erfahrung für sich - lag ich 4 Stunden in der Notaufnahme. 90 % der Zeit wartend, am Tropf liegend. Verschiedene Untersuchungen. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, ich bleibe höchstens übers Wochenende. Nach dem dann mehrere Ultraschalluntersuchungen und diverse Röntgenbilder keine Resultate bzgl. meiner heftigen Magendarmkrämpfe ergaben, schickte man mich am übernächsten Tag zur Computer Tonographie. Eine absolut demütigende, beängstigende Erfahrung. In den stunden davor 1 Liter widerlich schmeckende lösungsmittelartige Makierungslösung getrunken, während des CT's Markierungsmittel per Einlauf in den Darm gepumpt und gleichzeitig in die Vene gespritzt bekommen. Ein Horrortrip. Nach der CT ging ich ins Zimmer und wollte essen, als plötzlich der Pfleger rein kam und verkündete "Nichts essen! Sie müssen erstmal nüchtern bleiben, da ist Irgendwas!". Mit diesem Wissen und der nicht beantworteten Frage, was da senn sei, bekam ich es erstmal richtig mit der Angst zu tun. Tumore, Krebs, Chemotherapie, dahin siechen, Tod. Quälende Gedanken, Panik kroch mir den Hals herauf. Meine Angststörung bekam eine völlig neue Dimension. Waren in den letzten zwei Jahren dinge wie Angst vor dem Wahnsinn, Kontrollverlust, ausgeliefert sein, Vertrauen vs. Misstrauen, Steuerbarkeit, Berechenbarkeit und ähnliches Themen, die meine Begleiter wurden, packte mich jetzt eine simple, aber nicht weniger schlimme Aache. Die angst vor dem Tod. Nicht etwa vergleichsweise billige Psychothemen, sondern echte, berechtigte, handfeste Angst vor zu sterben. Eulenspiegels Kommentar zum thema Akzeptanz fiel mir wieder ein. Realisiere, dass du unweigerlich sterben wirst und lass diese Erkenntnis und die Akzeptanz Jener statt des Selbstmitleides dein Begleiter sein, so wirst du frei. Ich realisierte, dass ich noch unfassbar viel zu lernen habe.

Gefühlte Stunden später verkündeten die ärzte die Diagnose: Sigmadivertikulitis mit gedeckter Perforation des Darms. Eine ernste Sache. In dem Stadium lebensgefährlich. Kleine Ausstülpungen im Dickdarm, in denen sich Darminhalt verfangen und sich entzündet hat. Und nicht nur das. Der Darm war an der Stelle gerissen. Gott sei dank hat der körper irgendwas davor geschoben, sonst hätte es in einer Not-OP direkt einen künstlichen Darmausgang gegeben. Eine volkskrankheit, allerdings eher bei der Generation 50+ und nicht in meinem zarten Alter von 29 Jahren.Op? Keine Op, nur Antibiotika und Ernährungsveränderung? Das konnte man mir noch nicht sagen. Und wieder quälende Ungewissheit.

Am nächsten Tag sagte mir die erste Ärztin: "Ja ob man das operieren muss, kann man noch nicht sagen". Hoffnung keimt in mir auf. Ich habe eine scheiß Angst vor einer OP, vor der Vollnarkose, vor dem Aufwachen, und vor Allem, was damit zu tun hat. All das berührt die tiefsten Wurzeln meiner Ängste. Später kommt der Chirog und zerschlägt meine Hoffnungen. "Ja also eine Operation muss auf jeden Fall sein!". Und vorher noch eine schöne Darmspiegelung! Ich soll mich bis morgen entscheiden, ob ich die OP jetzt will oder in den nächsten 4-6 Wochen. Am späten Abend kommt der Chefarzt und verkündet: "Also die von der Chirogie sind ja immer schnell dabei mit den Darmspiegelungen, aber die OP muss auf jeden Fall jetzt sein!". Ich fühle mich wie ein Gummiball den man in jede Ecke eines Zimmers wirft. Mit aller Kraft. Eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich weiß nicht, was das Richtige ist und soll eine Entscheidung treffen. Mein Albtraumszenarium.

Am nächsten Tag steht die Entscheidung und die Sache wird akut. Ich mache die OP, aber nicht in diesem Provinzkrankenhaus, in dem ich mich eh nicht wohl fühle. Ich gehe in eine renomierte, jüdische Fachklinik. Ins israelitische Krankenhaus in Hamburg. Zuvor eine Nacht in der Wohnung meiner Mutter verbracht, denn ein Zuhause habe ich ja nicht mehr. Der Tag, an dem ich ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sollte eigentlich der Tag meines Umzuges in meine Wohnung sein, die zu bekommen ein Kampf von fast drei Monaten war. Während dieser zeit vorüber gehend ein Aufenthalt bei meiner Mutter. Beziehung nach Klapsenaufenthalt in Scherben, als Famile mehr oder weniger gescheitert, Depression, Psychopharmaka, Job verloren, am Nullpunkt angekommen. Nun eine lebensbedrohliche Krankheit, die gerade noch um kurz vor 12 sozusagen erkannt wurde. Das fehlte mir noch in meiner Sammlung. Jackpot. Ich bin enttäuscht. Enttäuscht von mir, enttäuscht vom Leben, ich fühle mich verarscht. Verarscht vom Univerum. Warum all der Schmerz? Haben die letzten 2 jahre Angststörungspsychohorrortrip nicht gereicht?

Im israelitischen Krankenhaus angekommen erstmal Untersuchung, Finger in Arsch. Demütigende Untersuchungen bin ich inzwischen ja schon gewohnt. Es ist Mittwoch, Freitag soll ich operiert werden. Jede Menge Zeit für beängstigende Gedankenspielereien und Panik, Depression. Mein Körper ist wie meine Psyche auf dem Nullpunkt, die vergangenen 7 Tage Flüssignahrung und die 3 Wochen davor fast keine Nahrung, sowie die drei mal tägliche intravenöse Gabe von zwei verschiedenen hochdosierten Antibiotika, die kaum Besserung der Entzündungswerte brachten, haben deutliche Spuren hinterlassen. Zwischendurch immer wieder positive Gedanken. Diese Operation und die darauf folgende, zwingende Umstellung meiner Ernährungs - und Lebensgewohnheiten werden mich auf meinem Weg des achtsamen umganges mit mir und meinen gefühlen und der meditativen Achtsamkeit im Alltag unterstützen. Denn was bringt uns mehr zum Jetzt als die Bewusstheit und das bewusste Essen guter, gesunder Lebensmittel? Was hat einen größeren Einfluss auf uns, als die tägliche Scheiße, die wir unbewusst in unsere abgestumpften Körper rein stopfen?

Trotzdem bleibt die Angst. 30-40 cm meines Dickdarms werden mir unter Vollnarkose entfernt. Keine Lapalie. Eine OP, die zwar in dem Krankenhaus an der Tagesordnung ist, die jedoch trotzdem mit erheblichen Gefahren verbunden ist, vor allem, wenn die Krankheit in einem derartig krassen Stadium ist, wie bei mir. Das erwähnen der mögliche Komplikationen erspare ich mir an dieser Stelle. Nur so viel: es ist grausam. Vom künstlichen Darmausgang über verlust der Urinierfähigkeit bis hin zur dauerhaften Impotenz ist alles drin. Und das mir gewohnheitsmäßig onanierendes Fickschwein.

Eine Info, die ich lieber nicht bekommen hätte, bleibt mir im Kopf hängen. Bei 5% der Menschen, die sich so einer OP unterziehen, klappt nicht alles wie es soll und man bekommt einen künstlichen Darmausgang. Zunächst für drei Monate, dann versucht man es wieder, was nicht heißt, dass es dann klappt. 5%, das ist nicht wenig, immerhin jeder Zwanzigste. Eine heftige Ansage, nach all dem Pech erscheint es mir nicht unwahrscheinlich, dass ich einer der 5% werde.

Der Tag der OP ist gekommen. Vorher noch einen schönen Einlauf, damit der Dickdarm auch leer ist und dann gibt es Midazolam als Prämedikation. Als ehemaliger Gewohnheitsdruffi, der inzwischen aber Angst vor Drogen hat, bin ich nicht gerade begeistert, merke dann aber die Sinnhaftigkeit dieser Medikation, als die Wirkung einsetzt. Angenehm beduselt schiebt man mich im Bett liegend in den Operationsbereich. Zwar bin ich gut abgestumpft, von Angstfreiheit kann jedoch keine Rede sein.

Schließlich liege ich auf dem OP-Tisch und rede mit der Narkoseärztin über dies und das, erwähne meine starken Ängste vor der OP. Sie sagt mir, dass sie gut auf mich aufpassen wird. Es kommt mir vor, als wenn mich ein Schamane auf einen Trip schicken würde und mit kommt, um auf mich aufzupassen. Nur die Epiphanie fehlt noch. Das ich eine Narkose bekomme, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Das Nächste, was ich weiß, ist, wie ich im Aufwachraum zu mir komme, wie nach einem traumlosen, tiefen Schlaf, dessen Länge ich nicht einschätzen kann. Sofort frage ich den Pfleger, ob es Komlikationen gab und betone, dass ich Angst habe, dass ich nicht richtig atme. Anscheinend nicht zum ersten mal, denn der Pfleger reagiert genervt, meint zu der Schwester, dass er mich jetzt aus dem aufwachraum raus haben will. Vermutlich war ich mehrmals wach und stellte immer wieder die gleichen fragen, erinnerungen daran habe ich nicht. Kommt mir vor wie auf einem Acid-Trip mit zu viel Alkohol.

Auch die nächsten zwei Tage sind mir nur noch wage in Erinnerung. Die Zeit erscheint mir wie ein Brei aus Schmerzen, nur auf dem Rücken liegen können. Ein einziges zeitloses Rumgesieche, zwischendurch immer wieder intravenöse Dipidolor-Schüsse, die ich mir per knopfdruck selber setzen kann, was ich auch häufig tue, weil ich immer wieder vergesse, ob ich ich mir schon was verpasst habe oder nicht. Bruchstückhaft weiß ich noch, dass meine Mutter mich bereits wenige Stunden nach der OP besuchte und dass Sabrina mich anrief. Was gesprochen wurde.. keine Ahnung. Ich kann mich noch erinnern, dass ich abends im TV ein Fußballspiel gesehen habe. Deutschland gegen Irgendjemanden. Ich schaute zwar hin, aber bekam nichts davon mit.. Irgendwann folgte dann das erste Aufstehen mit Hilfe der schwester als meine erste, richtige Erinnerung, nach dem ich die Dipidolorpumpe abgegeben hatte, weil mich der Zustand nur noch anekelte. Das Aufstehen war wie das erste Stehen meines lebens. Schmerzen, Kreislaufprobleme wenn ich nach unten guckte. Ich war ein Wrack, konnte mir nicht vorstellen, mich jemals wieder vernünftig bewegen zu können. Zwischen durch immer wieder Schmerzen und das Warten auf den ersten Schiss, der alles besser machen soll. Die Darmtätigkeit muss erst wieder in Schwung kommen.

Es folgten Tage der Regeneration, jeder einzelne von ihnen gepeinigt von Angsten. Erst drei Tage nach der OP kann man feststellen, ob alles gut zusammen gewachsen ist oder ob nachoperiert werden muss. Nachs heftigste Darmblähungen und Krämpfe ohne erlösende flatulenz. Wird der Darm vernünftig zusammen wachsen oder reisst gerade die Nahtstelle durch die die krassen Aufblähungen im Unterleib? Muss ich noch mal operiert werden? Warum werden die Entzündungswerte nur so langsam besser? Jede Bramüle, die man mir in meine inzwischen völlig zerschundenen Arme rammte, entzündete sich innerhalb eines Tages. So mussten sie täglich neu gelegt werden, denn ich bekam ja noch 3 mal am tag Antibiotika intravenös. Ich fühlte mich wie auf Chemotherapie. Aber nicht im positiven Sinne. Jedes Zwicken, jede Andeutung seitens der Ärzte, jedes Erwähnen von Symptomen, die ich sofort verspürte, wenn ich von ihnen hörte, wurden für mich zu zeichen, dass irgendwas nicht in Ordnung ist und ich noch mal operiert werden muss - meine Horrorvorstellungen werden in mir real.
Am 3. oder 4. Tag kamen beim Urinieren plölich mit einem zischenden Geräusch Luftbläschen aus meinem Penis. Die Ärzte vermuteten ein Loch in der Blase und schickten mich zum CT. Wieder Markierungsflüssigkeit, wieder ein Einlauf, der meine sich gerade wieder aufbauende Verdauung regelrecht durchspülte und im Keim erstickte. Inzwischen nahm ich die ganzen Schmerzen und das Leid einfach nur noch tottraurig resignierend hin, ich hatte ja doch keine Möglichkeit irgendwas zu beeinflussen. Zwischendurch Weinen uns Angst. Und Schmerzen. Nach ein paar Tagen kann ich mich einigermaßen Schritt für Schritt in Zeitlupe fortbewegen, sehe dabei aus wie ein Schwerstbehinderter auf Haldol und fühle mich auch so. Wie ein 90 jähriger Krüppel auf Neuroleptika.
Die Ängste, dass ein Loch in der Blase ist, was in einer erneuten OP geflickt werden muss, stellten sich als unbegründet heraus und nach 9 Tagen wurde ich endlich als lebendes Wrack aus dem Krankenhaus entlassen. 3 Monate nicht mehr als 5 Kilo schwer heben und warten, bis sich innerhalb von einigen Wochen der Körper und die Verdauung wieder regeneriert.
Staunen über die Fülle möglicher Erfahrungen auf diesem wunderbaren Planeten in diesem einzigartigen Leben.

Re: Die Angst vor dem Tod - Sigmadivertikulitis Operation

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Hallo ohn,

gestern hab ich mich noch gewundert, dass ich von Dir in den letzten Wochen keine Beiträge in Erinnerung hab. Dabei hab ich mich gefragt, wie es Dir wohl so geht - und hoffte gut. Deine Geschichte übertrifft nun natürlich die ausgefallensten Spekulationen.

Ich will an dieser Stelle auf Beileidsbekundungen und gut gemeinte Ratschläge verzichten. Stattdessen wünsche ich Dir von Herzen eine baldige Genesung und alles Gute.

Re: Die Angst vor dem Tod - Sigmadivertikulitis Operation

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:umarm: um auf bald wieder :strubbel: zu haben und :joint: zu können.

Das :glaskugel: ich Dir!!

Die Geschichte hat mich gerade ganz schön mitgenommen. Echt unfassbar, was eine Person in so kurzer Zeit durchleiden muss. Man kann wirklich sagen, du hast den Hades erlebt und wirst hoffentlich gestärkt und geläutert aus all dem hervorgehen - mit der Bewusstheit des Lebens, der vollumfänglichen Aufmerksamkeit, das Wissen um das Leiden, doch die Sicherheit dasselbe überwunden zu haben.
Ich finde es toll, wie Du deine Situation beschreiben kannst, habe überhaupt schon oft festgestellt, dass es dir gelingt, sehr sehr anschaulich zu beschreiben. Vielleicht dient es Dir als Ventil, als Ausdrucksform des Leides, welches ein Stück Geschichte festhält. Dazu hast Du großes Talent!

Bitte halte weiter durch und werde wieder gesund. :red:
Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.

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