Kreativität und Schizophrenie

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Kreativität und Schizophrenie - Forscher enttarnen das Gen der Genies

Genie und Wahnsinn liegen näher beieinander als gedacht: Forscher haben ein Gen entdeckt, das gleichermaßen für Kreativität und für Verrücktsein verantwortlich zu sein scheint. Positiver Nebeneffekt: Der Erbfaktor macht seinen Menschen sexy.

Große Männer sind wie Explosivstoffe in Zeiten, in denen lange nichts explodiert. Der zufälligste Reiz genügt, damit sich ihr Genie entlädt - schreibt Friedrich Nietzsche in der Götzen-Dämmerung. Genies, Künstler und Erfinder sind von Geheimnissen umweht, von Legenden umrankt. Ihr Leben besitzt für die Normalen Faszinationskraft und Aura. Nicht selten zahlen sie aber mit einer Nähe zum Verrücktsein. Das Leben des Mathematikers John Forbes Nash zeigt den Balanceakt zwischen Genie und Wahnsinn, er bekam den Wirtschaftsnobelpreis für die Erweiterung der Spieltheorie, doch verbrachte er Jahre mit paranoider Schizophrenie in der Psychiatrie.

Das Genialische, die herausragende Begabung hat scheinbar eine Schattenseite: Das Versinken in die Nacht des Wahnsinns, in die Gedankenfluten der Schizophrenie. Der Dichter Wilhelm Heinrich Wackenroder beschrieb ein Genie, das beim Schöpfen außer sich gerät und versuchte seine Reizoffenheit in Worte zu fassen. Auch Platon sah die Gefährdung und nannte es den göttlichen Wahnsinn des Genies.

Entdeckung des Genie-Gens

Auch die Genetik legt einen wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen schöpferischer Kreativität und Krankheiten wie Schizophrenie und Psychosen nahe. Nach vielen Enttäuschungen präsentierte 2002 ein isländisches Forschungsteam um den ehemaligen Harvard-Neuropathologen Kári Stefánsson ihre Ergebnisse zu Neuregulin 1. Ein Gen, das, so vermuteten die Forscher, einen ursächlichen Zusammenhang zur Schizophrenie haben müsse. Neuregulin 1 (NRG1) nennt es sich, es verfügt über Signalübertragungsfunktionen zwischen Zellen und ist für ihre Interaktion verantwortlich.

Störungen der NRG1-Signalübertragung wurden von den Forschern fortan mit Schizophrenie in Verbindung gebracht, zumindest mit Aufmerksamkeitsstörungen. Die eigentliche Entdeckung folgte sieben Jahre später. Eine Studie der renommierten Semmelweis-Universität in Budapest zeigte in der Fachzeitschrift "Psychological Science": Nicht nur für ein höheres Schizophrenierisiko sollte die Genvariante von Neuregulin 1 stehen, sondern auch für Kreativität.

Schriftsteller, Dichter, Musiker, Maler, Erfinder - alle Träger einer Genvariante? Die Rede vom schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn schien ein Fundament zu bekommen. Untersuchungen des Wissenschaftlers Szabolcs Kéri begründeten den Verdacht, dass Neuregulin 1 die Verarbeitung von Informationen im Gehirn hemmt, aber auch frei für Ideen macht. Kéri hatte herausgefunden, dass es zwei Varianten des Gens gibt, die unterschiedliche Ausprägung sei entscheidend.

Bei der Hälfte der Europäer entdeckte der Neuropathologe eine Kopie des Gens, bei ungefähr 15 Prozent waren es zwei. Diese Menschen waren nicht nur anfälliger für Schizophrenie, sondern auch kreativer. Man fragte sie: Stellen Sie sich vor, von den Wolken würden Fäden bis zur Erde herabhängen. Was würde geschehen? Die Träger der beiden Gene beeindruckten mit deutlich originelleren und komplexeren Ideen.

Anstelle von erwartbaren Antworten wie "ich würde hochklettern und die Fäden dafür nutzen" oder "ich würde das Wetter ändern" gingen die Antworten der Testpersonen mit der Genvariante in eine andere Richtung. "Ich würde eine Decke stricken, um die Erde zu bedecken und zu schützen", sagte einer. Ein anderer: "Ich würde spezielles und frisches Wasser in eine Wolke injizieren, wenn die Wolken verschwänden, kämen die Leute durch die Fäden immer noch dran."

Intelligenz und Gedächtnis entscheiden

Verblüfft stellte Kéri fest, dass eine genetische Variante, die mit Schizophrenie assoziiert war, erstmals auch positive Eigenschaften besaß. Er übertrug den Gedanken auf das Prinzip der Evolution, denn bei einigen Menschen führte die Variante offenbar zur schizophrenen Gedankenflucht, zu Halluzinationen und Wahnideen, bei anderen setzte sie ein freieres Denken und ungewöhnliche Gedankenkombinationen in Gang. Was unterschied diese Menschen?

Kreative, darin sind sich die Forscher einig, denken assoziativer, weniger fokussiert, offener. Ihre Gehirne filtern weniger stark Wesentliches von Unwesentlichem und ähneln denen von Kranken - aber mit einem entscheidenden Unterschied. Was den Schizophrenen überschwemmt, wird vom Erfinder geordnet, zu sinnstiftenden Einheiten kombiniert, sein Gehirn "bündelt".

Der Post-it etwa wurde durch einen Gedankenblitz im Kirchenchor erfunden. Dem Chemiker Arthur Fry kam die Eingebung, als Lesezettel aus seinem Gesangsbuch herausfielen. Plötzlich wusste er, wozu der schwache Kleber, den ein Kollege entwickelt hatte, dienen könnte. Er strich seine Zettel damit ein, das Problem war behoben.

Das sogenannte Clustern ist nichts anderes als eine Technik, den Zwang des linearen Denkens auszutricksen und kreativere Verbindungen zu suchen. Geniale Lösungen sind impulsiv gedacht und schaffen nicht selten einen neuen Ordnungsrahmen. Auch Friedrich Nietzsche schwärmte von der Formkraft des Genies über das Ungeformte. Ein Genie zwänge chaotische Reize in ein System.

Wer vom Genius geküsst und wer in den Wahnsinn gleitet, darüber, so die Vermutung der Forscher, könnten die Intelligenz und das Gedächtnis entscheiden. Träger der Genmutation mit höherer Intelligenz und besserem Arbeitsgedächtnis konnten in der ungarischen Studie von Szabolcs Kéri der Schizophrenie häufiger entgehen.

Kleines Inferno im Hirn

Josef Bäuml, Oberarzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München, hat die Gehirne von Schizophrenen untersucht. Er beschreibt das Traumatische, Heimgesuchte, wenn ein Reiz, ein Wort, ein Geräusch unendlich viele bizarre Assoziationsketten lostritt. Ein Außenreiz entfache im schizophrenen Gehirn ein kleines "Inferno".

Schuld ist bei einem aktuellen Schub eine Dopaminausschüttung im Gehirn, die alle normalen Filterfunktionen außer Kraft setzt. Wichtige Signale werden damit nicht mehr von unwichtigen Signalen unterschieden und ein Sturm von ungeordneten Eindrücken bricht los, Bäuml vergleicht es mit einem Raum, in dem alle Telefone, die Außenklingel und das Fax gleichzeitig schrillten.

Ein aktueller psychotischer Schub kann nicht mit genialem Visionärtum verklärt werden. Im Gegenteil: Die kalte Hand der Schizophrenie, so sagte es der verstorbene Intelligenzforscher Hans Eysenck, tötet alle Kreativität. Es sind die milden Formen psychischer Störung, die ihre Entfaltung ermöglichen. Die milde Dissoziation hat jedoch schillernde Grenzphänomene hervorgebracht. Die Romantiker Eichendorff, Hölderlin - sie werden gerne als vom Wahnsinn umwitterte Geister angeführt. Ihre logische Syntax war gelockert, sie war aber nie ganz aufgegeben, so dass sie lallen würden.

Wahnsinnig attraktiv

Vorzüge, so die Forscher, muss das kreative Schizophrenie-Gen trotz allem haben, sonst wäre es ausgestorben. Das bestätigen Naturwissenschaftler unter dem Darwinschen Paradoxon. Tatsächlich: Das Ergebnis einer Studie der britischen Wissenschaftler Daniel Nettle und Helen Keenoo mit 425 Probanden zeigt: Kreative Probanden hatten zwar schizotype Eigenschaften, konnten aber auch mit einem durchschlagenden Erfolg beim anderen Geschlecht punkten. Sie wirkten sexy, hatten mehr Sexualpartner.

Befragte man Probanden, beurteilten diese die Kreativen als attraktiver als Normale. Die Magie und Faszinationskraft der genialen Menschen hatte es schon immer gegeben, die Romantiker schwärmten davon als Magnetismus und Inspiration, all die modernen Borderliner gelten als Verführer und Charismatiker. Unweigerlich denkt man an den iPhone-Erfinder Steve Jobs, durch den wir über unsere Handys streicheln, Geräte intuitiv, fast zärtlich bedienen: Er war sicher einer der Explosivstoffe unserer Zeit.

Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mens ... 70089.html
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Sehr interessant. Ich habe selbst seit 10 Jahren Schizophrenie. Bis zur Hälfte deines Posts war ich voller Freude, da es schien als würde die Schizophrenie in Zukunft als das angesehen werden, was sie tatsächlich ist. Doch dann ändert sich leider der Tonus ins negative und gegen Ende wird dann alles wieder relativiert und es ist sogar von "der kalten Hand der Schizophrenie" die Rede.

Ich war wirklich sehr zuversichtlich, aber es ist eben doch unmöglich für "Normalos" die Schizophrenie auch nur ansatzweise zu begreifen...
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Ganz bestimmt ist das subjektive Erleben der Schizophrenie etwas völlig anderes als es Studien jemals abbilden könnten. Am Ende steht übrigens auch, dass Menschen mit schizotypen Eigenschaften als sexy wahrgenommen werden und mehr Sexualpartner haben - das scheint mir nicht zwangsläufig negativ...?! ;)

Wie erlebst du denn selbst die Schizophrenie und einen akuten psychotischen Schub (denn in diesem Zusammenhang war ja von der "kalten Hand der Schizophrenie" im SPON-Artikel die Rede)?
Kannst du dich an Zeiten anderer Wahrnehmung erinnern oder hat sie dich schon immer begleitet?

Wäre doch eine wunderbare Möglichkeit, dein eigenes Erleben der Schizophrenie darzulegen. :)
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Sonntagskind hat geschrieben:Am Ende steht übrigens auch, dass Menschen mit schizotypen Eigenschaften als sexy wahrgenommen werden und mehr Sexualpartner haben - das scheint mir nicht zwangsläufig negativ...?! ;)
Die schizotypen Persöhnlichkeitsstörungen sind ja wieder ein ganz anderes Gebiet. Statistisch gesehen wird übrigen besonders weiblichen Borderline Patienten hohe Attraktivität nachgesagt.
Viele Sexualpartner sehe ich im übrigen auch nicht gerade als zwangsläufig positiv. Ich bin zum Glück glücklich verheiratet.
Wie erlebst du denn selbst die Schizophrenie und einen akuten psychotischen Schub (denn in diesem Zusammenhang war ja von der "kalten Hand der Schizophrenie" im SPON-Artikel die Rede)?
Immer anders bis zum totalen Kontrollverlust.
Kannst du dich an Zeiten anderer Wahrnehmung erinnern oder hat sie dich schon immer begleitet?
Wenn es um meine visuelle Wahrnehmung geht, begleitet sie mich seit meiner Kindheit. Verstanden habe ich sie aber erst im frühen Erwachsenenalter.
Wäre doch eine wunderbare Möglichkeit, dein eigenes Erleben der Schizophrenie darzulegen. :)
Was sollte das bringen? Wenn es irgendeinem Zweck dient kann ich das gerne tun. Gib mir Zeit ein Buch zu schreiben, soll ja vollständig sein ;)
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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rezzi hat geschrieben:Was sollte das bringen?
Nun, du könntest versuchen, dich verständlich zu machen. Denn
rezzi hat geschrieben:Ich war wirklich sehr zuversichtlich, aber es ist eben doch unmöglich für "Normalos" die Schizophrenie auch nur ansatzweise zu begreifen...
... scheinbar bist du mit der im Artikel vertretenen Meinung ja nicht glücklich.
rezzi hat geschrieben:Wenn es irgendeinem Zweck dient kann ich das gerne tun. Gib mir Zeit ein Buch zu schreiben, soll ja vollständig sein ;)
Wenn du den Anspruch auf Vollständigkeit erhebst, musst du das wohl. ;) Ich würd's lesen (und es wäre auch nicht das erste Buch aus dem Themenkreis für mich).
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Eulenspiegel dir scheint nicht ganz klar zu sein, dass jeder schizophrene in seiner ganz eigenen Welt lebt. Nicht böse gemeint! Stell es dir in etwa so vor; Gib zwei Leuten LSD und lass sie 10 Jahre trippen. Dann lass beide ein Buch über LSD schreiben :D

@Sonntagskind
Vielleicht sollte ich erstmal meine erweiterte Matrix-Theorie zu Papier bringen :schreib:
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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rezzi hat geschrieben:Eulenspiegel dir scheint nicht ganz klar zu sein, dass jeder schizophrene in seiner ganz eigenen Welt lebt.
Ich muß mich jetzt sehr zusammennehmen, um sachlich zu bleiben. Nicht jeder Schizophrene, JEDER lebt in seiner ganz eigenen Welt.
Imho hast Du Dir von den Göttern in Weiß lediglich Deine BESONDERHEIT bestätigen lassen; somit hast Du einen Freifahrtschein, um Dich gehen zu lassen - mehr nicht.
Ließ mal Wegesrand. :bow:
And I'll spread my wings 'till sun and moon, singing the song of life, dancing the dance of life, becoming life itself, no longer knowing, that I am.

Re: Kreativität und Schizophrenie

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Klar lebt Jeder in seiner eigenen Welt, aber hier im Thread gehts ja um Schizophrenie, deshalb hab ich das mal aussen vor gelassen.
Du stimmst mir aber doch zu, dass sich die Welten in denen die Nicht-Psychotiker leben sich doch stark an der Consensus Realität orientieren, oder?

Zum Wegesrand; Sehr gut geschrieben! Wo kommt das her? Ich lag selbst eine halbe Ewigkeit am Wegesrand...Ich bin aber mittlerweile im "Ziel"

Ja, ich weiss selbst, dass so etwas eine Seltenheit ist.

Vielleicht wäre es sinnvoller und nützlicher wenn ich etwas über meinen Weg bis zur Ziellinie schreiben würde. :)
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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rezzi hat geschrieben:.... Ich bin aber mittlerweile im "Ziel" ....
Es ist das Vorrecht der Jüngeren, Schlüsse voreilig zu ziehen. :blacklol:
Die Idee eines 'Ziels' wird imho zunehmend absurder & ersetzt durch die Wahrnehmung eines "MEHR", egal wohin ich schau.
Für mich gibt es nur das Reisen auf Wegen, die Herz haben, auf jedem Weg reise ich, der vielleicht ein Weg ist, der Herz hat. Dort reise ich, und die einzig lohnende Herausforderung ist, seine ganze Länge zu gehen. Und dort reise ich und sehe und sehe atemlos.
Jedes Ding ist eins von Millionen Wegen (un camino entre cantidades de caminos). Darum mußt du immer daran denken, daß ein Weg nur ein Weg ist. Wenn du fühlst, daß du ihn nicht gehen willst, mußt du ihm unter gar keinen Umständen folgen. Um so viel Klarheit zu haben, mußt du ein diszipliniertes Leben führen. Nur dann wirst du wissen, daß ein Weg nur ein Weg ist, und dann ist es für dich oder für andere keine Schande, ihm nicht zu folgen, wenn es dein Herz dir sagt. Aber deine Entscheidung, auf dem Weg zu bleiben oder ihn zu verlassen, muß frei von Furcht oder Ehrgeiz sein. Ich warne dich. Sieh dir den Weg genau und aufmerksam an. Versuche ihn, so oft es dir notwendig erscheint. Dann stell dir, und nur dir selbst, eine Frage. Diese Frage ist eine, die sich nur alte Männer stellen. Mein Beschützer nannte sie mir einmal, als ich jung und mein Blut zu unruhig war, um sie zu verstehen.
Heute verstehe ich sie. Ich will dir sagen, wie sie lautet: Ist dieser Weg ein Weg mit Herz? Alle Wege sind gleich: sie führen nirgendwo hin. Es gibt Wege, die durch den Busch führen oder in den Busch. Ich kann sagen, daß ich in meinem eigenen Leben langen, langen Wegen gefolgt bin, aber ich bin nirgendwo. Heute bedeutet die Frage meines Wohltäters etwas. Ist es ein Weg mit Herz? Wenn er es ist, ist der Weg gut; wenn er es nicht ist, ist er nutzlos. Beide Wege führen nirgendwo hin, aber einer ist der des Herzens, und der andere ist es nicht. Auf einem ist die Reise voller Freude, und solange du ihm folgst, bist du eins mit ihm. Der andere wird dich dein Leben verfluchen lassen. Der eine macht dich stark, der andere schwächt dich.
Zu dem letzten Satz ist mir noch was eingefallen. :D
Wir brachen vor Morgengrauen auf und fuhren nach Norden, und nach einer anstrengenden Fahrt und einem schnellen Fußmarsch erreichten wir am Spätnachmittag den Berggipfel. Wie beim erstenmal bedeckte Don Juan die Stelle, an der ich damals geschlafen hatte, mit kleinen Zweigen und Blättern. Dann gab er mir eine Handvoll Blätter, die ich auf meinen Unterleib legen sollte, und befahl mir, mich hinzulegen und auszuruhen. Zu meiner Linken, ungefähr zwei Meter von meinem Kopf entfernt, bereitete er eine weitere Lagerstätte für sich selbst und legte sich hin.
Binnen weniger Minuten verspürte ich eine köstliche Wärme und ein Gefühl höchsten Wohlbefindens. Es war ein Empfinden körperlicher Erleichterung, ein Gefühl, als schwebte ich in der Luft. Ich konnte Don Juans Worten voll zustimmen, daß das »Strahlenbett« mich in der Schwebe hielt. Es wurde mir bewußt, wie unglaublich diese meine Sinneserfahrung war. Don Juan konstatierte sachlich, das sei der Zweck des »Bettes«.
»Ich kann nicht glauben, daß so etwas möglich ist!« rief ich.
Don Juan faßte meine Äußerung wörtlich auf und tadelte mich. Er sagte, er sei es leid, daß ich mich benähme wie jemand unglaublich Wichtiges, dem immer und immer wieder bewiesen werden müsse, daß die Welt unbekannt und wunderbar sei. Ich versuchte ihm zu erklären, daß ein rhetorischer Ausruf doch belanglos sei. Er erwiderte, wenn dem so sei, hätte ich ebensogut etwas anderes sagen können. Ich setzte mich halb auf und wollte mich entschuldigen, aber er lachte und schlug eine Reihe alberner rhetorischer Ausrufe vor, die ich stattdessen hätte gebrauchen können, wobei er meine Sprechweise imitierte. Schließlich mußte ich über die wohlkalkulierte Absurdität der von ihm vorgeschlagenen Alternativen lachen. Er kicherte und ermahnte mich mit sanfter Stimme, ich solle mich ganz dem Gefühl des Schwebens hingeben. Das besänftigende Gefühl der Ruhe und der Fülle, das ich an diesem geheimnisvollen Ort erlebte, weckte in mir gewisse tief verschüttete Gefühle. Ich fing an, über mein Leben zu sprechen. Ich gestand, daß ich nie jemanden respektiert oder geliebt hätte, nicht einmal mich selbst, und daß ich immer das Gefühl hatte, von Grund auf schlecht zu sein, und daher meine Einstellung zu anderen immer durch eine gewisse gespielte Forschheit und Kühnheit verschleierte.
»Richtig«, sagte Don Juan. »Du magst dich überhaupt nicht.« Er lachte und sagte, er habe, während ich sprach, »gesehen«. Er empfahl mir, nichts zu bereuen, was ich getan hätte, denn die eigenen Handlungen als böse, häßlich oder schlecht herauszustellen, bedeute, dem eigenen Ich eine ungebührliche Bedeutung beimessen.
Ich bewegte mich nervös hin und her, und das Blätterbett raschelte. Wenn ich mich ausruhen wolle, sagte Don Juan, dann solle ich meine Blätter nicht beunruhigen, sondern es ihm gleichtun und völlig reglos liegenbleiben. Durch das »Sehen«, fügte er hinzu, habe er eine meiner Stimmungen erkannt. Einen Augenblick rang er offenbar um die richtigen Worte, dann sagte er, jene Stimmung sei ein gewisser Bewußtseinsrahmen, in den ich mich ständig hineinfallen ließe. Er beschrieb ihn als eine Art Falltür, die sich unerwartet öffne und mich verschlinge.
Ich forderte ihn auf, sich deutlicher zu äußern. Er wiederholte, es sei unmöglich, sich über das »Sehen« deutlich zu äußern. Noch bevor ich etwas anderes sagen konnte, befahl er mir, mich zu entspannen, dabei jedoch nicht einzuschlafen, sondern so lange wie möglich in einem Zustand der Wachsamkeit zu bleiben. Er sagte, das »Strahlenbett« diene ausschließlich dazu, einem Krieger die Möglichkeit zu geben, einen bestimmten Zustand der Ruhe und des Wohlseins zu erreichen.
Mit Nachdruck betonte Don Juan, daß dieses Wohlsein ein Zustand sei, den man pflegen müsse, ein Zustand, an den man herangeführt werden müsse, um ihn anstreben zu können. »Du weißt nicht, wie das Wohlsein ist, denn du hast es nie erfahren«, sagte er.
Ich widersprach ihm. Doch er blieb dabei, daß Wohlsein eine Errungenschaft sei, die man bewußt anstreben müsse. Das einzige, was ich anzustreben wisse, sagte er, sei Desorientierung, Unwohlsein und Verwirrung.
Er lachte und versicherte mir, um das Kunststück zu vollbringen, mich selbst in einen miserablen Zustand zu versetzen, müsse ich äußerst hart arbeiten, und es sei doch absurd, daß ich mir nie bewußt gemacht hatte, daß ich mich mit dem gleichen Aufwand ebensogut bemühen könne, mich zu vervollkommnen und stark zu werden.
»Es hängt davon ab, was wir anstreben«, sagte er. »Entweder wir machen uns elend, oder wir machen uns stark. Der Arbeitsaufwand ist stets derselbe.«
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Also jetzt voreilig den Schluss zu ziehen, ich würde voreilige Schlüsse ziehen...irgendwie etwas voreilig :blacklol:

Jung, jünger - immerhin älter als die Sonne.

Alle Ziele sind doch sowieso nur temporär erreicht.
Zwischenziele, gibt viele. Ich persöhnlich würde so etwas auch nicht als Ziel bezeichnen, dein Zitat nannte es so.
Meiner Meinung nach gibt es nur ein ultimatives Ziel.
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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raterz hat geschrieben:oja das sind echt zwei gute zitate. bin immer wieder erstaunt, was in diesen büchern steht, und wie du sie anscheinend perfekt im kopf hast :D
Es gibt da ein Zitat, das mir persönlich viel bedeutet.

Allerdings muß ich da noch was voraus schicken: Im Universum gibt es eine unermeßliche und unbeschreibliche Kraft, welche die Zauberer als Absicht bezeichnen. Und alles im Kosmos Existierende ist durch ein Bindeglied mit der Absicht verknüpft. Zauberer sind stets bemüht, dieses Bindeglied zu klären, zu verstehen und zu nutzen. Vor allem sind sie bemüht, dieses Bindeglied von den lähmenden Folgen zu läutern, wie die gewöhnlichen Sorgen des Alltags sie bedingen. In diesem Sinn ist Zauberei ein Prozeß der Läuterung unseres Bindeglieds zur Absicht. .... Die einzige Möglichkeit, die Absicht kennenzulernen ist ihr unmittelbares Kennenlernen durch eine lebendige Beziehung, die zwischen der Absicht und allen Lebewesen besteht. Die Zauberer bezeichnen die Absicht als das Unbeschreibliche, den Geist, das Abstrakte, das Nagual. Ich würde vorziehen, sie als Nagual zu bezeichnen, aber dies überschneidet sich mit dem Namen für den Führer, den Wohltäter, der ebenfalls Nagual genannt wird; und darum habe ich mich entschieden, sie als den Geist, die Absicht, das Abstrakte zu bezeichnen.
:denk:
Du, lieber raterz, würdest - aufgrund Deiner buddhistischen Schulung - wohl am ehesten vom "Dharmakaya" sprechen.
Bild

Weil ich die Kena-Upanishad so liebe, nenne ich es in meinem stillen Kämmerlein ब्रह्मन् {Bráhman}.
Genug der Vorrede; hier das Zitat:
Das einzig Wichtige ist die Idee des Abstrakten - der Geist; das persönliche Ich hat keinerlei Wert.
Du selbst, Carlos, stellst immer noch dich und deine Gefühle in den Mittelpunkt.
Ich habe dir aber immer wieder gesagt, du sollst abstrahieren. Wahrscheinlich glaubtest du, ich meine ein abstraktes Denken. Aber nein!
Mit Abstrahieren meine ich, daß wir uns dem Geist öffnen, indem wir uns seiner bewußt werden.
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Re: Kreativität und Schizophrenie

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Das "Ich" oder das "Ego" ist doch nur eine Illusion, zugegebenermassen eine notwendige für die Menschen, welche Teil der Consensus Realität sind.

Hier spricht Eckart Tolle über das Ego

http://www.youtube.com/watch?v=tIJqMVMfL3Y

Das ist insofern für das eigentliche Thema relevant, da zur Schizophrenie auch die Ich-Störungen gehören können.
Ein psychologe hat es mir mal so erklärt; Das Ich ist wie ein Ei, es hat eine feste Schale. Es ist fest abgegrenzt. Bei mir (und anderen Schizophrenie-Patienten ist diese Schale durchlässig. Das "Ich" ist nicht klar zur Umgebung abgegrenzt.
Es vermischt sich und verschmilzt mit der Umgebung.

Hat man mal eine komlette Ich-Auflösung erlebt, war eins mit dem Universum, erkennt man das es überaupt keine Unteschiede gibt. Eigentlich ist alles Eins. Die menschliche Wahrnehmung verkompliziert immer alles so stark. Auf kosmischer Ebene ist alles so einfach.

Die materielle Ebene ist auch nur Illusion. Wenn man genau hinschaut, erkennt man wie sich alles bewegt, wie alles fliesst.

Es gibt ein kosmisches Bewusstsein, und es gibt ein kosmisches Muster. Der NASA Physiker Alexander Kaczynski sagte einst, dass es keine Zufälle gäbe, da alles Teil des kosmischen Musters sei.
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