Freud, Traum & Trip

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hi. Hier ein kurzer text den ich geschrieben habe. bin in letzter zeit zuerst auf das naheverhältnis zwischen Psychose und der Wirkung bekannter halluzinogene gestossen, später dann auf Freud und seine Theorien über den Traum. was dann schließlich zu dem geführt hat. würde mich über feedback freuen. :bow:
Freud, Traum & Trip

"Das Bewußtsein zeigt nach der Einnahme von LSD eine charakteristische qualitative Veränderung ähnlich wie in Träumen. Es kann seine gewöhnlichen Grenzen überschreiten und Phänomene aus dem tiefen Unbewußten mit aufnehmen, die unter normalen Umständen nicht zugänglich sind. Dieser Vorgang wird häufig als Bewußtseinserweiterung bezeichnet." - Stanislav Grof


Sigmund Freuds Konzeptionierung des Traums und der Traumdeutung könnte hilfreich sein, um ein besseres Verständnis von den Vorgängen zu gewinnen, die während einer durch klassische Halluzinogene hervorgerufenen Bewusstseinsveränderung eintreten. Damit will ich keineswegs behaupten, auf Basis dieser Überlegungen könnten alle Phänomene eines Trips erklärt werden. Doch das Verständnis von Phänomenen wie dem Aufkommen verdrängter Gedanken, oftmals erlebter lebensverändernder Einsichten in die eigene Person, Horrortrips, oder der vermeintlichen Absurdität, Sinnlosigkeit, Banalität bestimmter Wahrnehmungen und Gedanken, könnten mit einer Bezugnahme auf die freudsche Konzeption um gewisse Facetten erweitert werden.

0. Zur Verbindung von Traum, Psychose und Trip

Wie ist die Verbindung von Traum und Trip zu rechtfertigen? Gibt es triftige Gründe anzunehmen, jene beiden Prozesse besäßen Gemeinsamkeiten? Die gemeinsame Verbindnung der beiden lässt sich am besten über das Mittelglied des Konzepts der Psychose erahnen. Seit der Institutionalisierung der psychologischen Wissenschaft wird der Traumvorgang in Verbindung gebracht mit dem psychotischem Erleben im Wachzustand. So bezeichnet beispielsweise Freud den Traum als "eine Psychose, mit allen Ungereimtheiten, Wahnbildungen, Sinnestäuschungen einer solchen.” Nach der Entdeckung des LSD bis zu seiner Kriminalisierung wurde es für psychotherapeutische Zwecke genutzt. Einige Psychologen oder Psychiater nahmen an, mit diesem Stoff könne eine Modellpsychose ausgelöst werden. D.h. es tritt eine Veränderung der Psyche ein, die in der Medizin als psychotisch oder schizophren kategorisiert wird. Diese Wahrnehmung ist auch teilweise im Volkswissen verankert, wenn beispielweise in Österreich umgangssprachlich von narrischen Schwammerl (verrückten Pilzen) gesprochen wird. In der Tat gleicht nicht nur der ICD-10 in einigen Punkten typischen Bewusstseinsveränderungen während eines Trips ("Gedankeneingebung ... Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung, ... Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten"). Besonders bei Schilderungen von Psychoseerfahrenen, die generell weniger negativ-pathologisierend ausgerichtet sind als es der medizinische Diskurs ist, werden Parallelen zur Wirkung von klassischen Halluzinogenen offensichtlich. Gleichzeitig wurde der Wirkstoff LSD auch für tiefenpsychologische Ansätze verwendet. Statt den umständlichen Weg über den Traum und dessen Deutung zu gehen, wie dies Freud machte, sah man in LSD einen Stoff, der viel wirksamer Zugriff aufs Unterbewusste gestattete. Die moderne Hirnforschung hat schließlich auch auf naturwissenschaftlicher Ebene nachweisen können, was Medizin und Geisteswissenschaft zuvor schon auf psychologischer Ebene ersahen, dass nämlich Traum, Psychose und Trip ähnliche Mechanismen aufweisen, auch was deren biologisch-chemische Hervorrufung im Hirn betrifft. Meine These ist daher, dass Traum und Triperleben durch ähnliche Mechanismen in der Psyche (mit)produziert werden.

I. Zur Funktion des Traumvorgangs für die Psyche und möglichen Implikationen für den Tripvorgang

Ich betrachte die konkreten Gedanken und Empfindungsinhalte die während einer Bewusstseinsveränderung mit klassischen Halluzinogenen aufkommen, wesentlich als von der Psyche produziert. D.h. die aufkommenden Ideen sind weder eingegeben durch die Substanz oder eine ominöse Kraft, noch sind die Ideen als nichtssagendes Abfallprodukt des Gehirns zu betrachten. Vielmehr - so meine Hypothese - stellt das Triperleben eine Leistung der Psyche dar, die dem Traumvorgang ähnlich, wenn auch sicher nicht gleich ist. Wie dem Traum religiöse, spirituelle, übersinnliche, prophezeihende Qualitäten zugesprochen wurden und zum Teil werden, so ist dies auch oftmals mit halluzinogenen Wirkstoffen geschehen und geschieht dies noch immer. Doch lehrt uns die Psychoanalyse den Traum mit seiner ganzen, auf den ersten Blick sich darbietenden Rätselhaftigkeiten, als eine verdrackte psychische Leistung mit rationellen Kern zu betrachten, und so sollte wohl auch versucht werden, das Triperleben als verdrackte psychische Leistung mit rationellen Kern zu betrachten.

Kurzgefasst wird während des Traums die Grenze zwischen Bewussten und Unterbewussten verschoben, verdrängte Gefühle, Ideen, Erinnerungen, kommen in einer Art und Weise an die Oberfläche, dass der Träumende einen Lustgewinn (meist durch Unlustsverhinderung) erzielen kann, ohne sich die verdrängten Bewusstseininhalte unverstellt bewusst machen zu müssen. Hinter den manifesten Trauminhalt der sich oft aus Tag zuvor erlebten speist, stecken die latenten, sich im unbewusstsen befindenden Traumgedanken, die sich mit dem Verdrängten befassen. Während der Traumarbeit werden die latenten Traumgedanken in einer Art und Weise in konkrete Trauminhalte übertragen, dass das Verdrängte luststeigernd und unverfänglich von der Psyche behandelt werden kann, ohne sich das Verdrängte unverstellt bewusst machen zu müssen. Dies sind die wohlbekannten Träume, die oftmals eine auf den ersten Blick starke unsinnige oder absurde, nichtssagende Tendenz besitzen. Versagt die Traumarbeit, kann das verdrängte nicht ausreichend versteckt werden im Trauminhalt, kommt es nach Freud zu Angstträumen die oftmals mit dem Erwachen enden.

Ähnliches könnte auch bei dem Konsum von halluzinogenen Stoffen ablaufen. Die Wirkung der Substanzen verändert die Grenze oder Zensur zwischen Verdrängtem im Unterbewusstsen und Bewussten und bildet einen Kompromiß wie im Traum, es findet eine "verhüllte Erfüllung von verdrängten Wünschen" statt. Da die Zensur noch stärker fallen kann als im Traum und/oder wenn die Triparbeit (analog zur Traumarbeit) nicht ausreichend funktioniert, kommt es zum Horrortrip wie es während des Traumvorgangs zum Albtraum kommen kann. In diesem Sinne stellen sich wohl in anderen Worten formuliert die indigenen Bevölkerungen Lateinamerikas ihren bösen Geistern, finden etwas (in sich) wieder, dass sie verloren haben, oder treten mit den Göttern in Kontakt.

II. Die Übertragung der Traumanalyse auf das Triperleben

Nach diesen allgemeinen Überlegungen sollen nun die Konzepte Freuds betreffend des Traumvorgangs genauer übertragen werden auf den Tripvorgang. Hinter den manifesten Tripinhalt (manifester Trauminhalt) stecken die latenten Tripgedanken (Traumgedanken), d.h. jene verdrängten im Unbewussten befindlichen Gedanken, Erinnerungen, Empfindungen, welche vermittels der Triparbeit (Traumarbeit) in eine Form gebracht werden (den Tripinhalt), in der sie luststeigernd verarbeitet werden können. Dies wird bezeichnet als Tripverschiebung (Traumverschiebung). Oftmals steckt dabei eine (verborgene) Symbolik im träumen. Gelingt dies, so war die Triparbeit erfolgreich und es handelt sich um "verhüllte Erfüllungen von verdrängten Wünschen."

Solches Triperleben mag in vielen Aspekten nachträglich wie beim Traum absurd erscheinen, fand doch eine ganze Reihe von Prozessen statt, die die aus dem Unterbewusstsein emporkletternden und sich bemerkbar machenden Verdrängungen entstellte. Gelingt diese Tripentstellung (Traumentstellung) nicht - mag dies sein weil die Zensur zu weit gefallen ist, weil die Triparbeit (Traumarbeit) aufgrund von Set und Setting gestört ist, wie ein Träumender von äußeren Reizen beeinflusst wird, weil das Verdrängte zu beängstigend ist, oder weil die Person keine Mittel besitzt Verdrängtes produktiv zu verarbeiten - mag es ähnlich wie beim Albtraum zum Horrortrip kommen. Gleichzeitig ermöglicht gerade die Verschiebung der Grenze zwischen Unbewusstsen und Bewussten sich mit verdrängten Gedanken auseinanderzusetzen, sich diesen bewusst zu werden oder diese gar zu lösen, und so lebensverändernde Erlebnisse zu produzieren. Dafür sind diese Wirkstoffe wohl in gewissen Aspekten sogar besser geeignet als der Traum. Einerseits entfernt die Zensur die Erinnerung an den Traum bei weitem stärker als Triperfahrungen, zweitens verbleibt die Person meist mit einem Rest an normalen Wachbewusstsein und kann bewusst reflektieren über die Veränderungen im Bewusstsein. Sie kann in Kontakt mit anderen Personen treten, z.B. Psychiatern, und mit diesen das Erlebte interpretieren.

III. Abschliessend

Es mag sich der Eindruck ergeben, dass das ganze Triperleben abgeleitet wird aus der verfremdenden Bearbeitung von Verdrängtem zum Zwecke des Lustgewinns analog der Traumarbeit, d.h. in einem auf gewisse Weise veränderten, auf gewissen Mechanismen beruhenden Bewusstseinszustand, wie er auch vom Traum oder der Psychose bekannt ist. Dies war nicht meine Absicht. Sehrwohl wollte ich aber auf die 1. Bedeutung des Unbewusstsen bzw. Verdrängten hinweisen, und auf die 2. ähnlichen psychischen Mechanismen, die in Traum, Psychose und Trip wirken. Gleichwohl auch hier zu betonen ist, dass sich eben genannte Phänomene nur oberflächlich ähneln, auf gewissen ähnlichen Mechanismen beruhen, jedoch keineswegs gleichgesetzt werden könnten. Es mag jedoch durchaus hilfreich erscheinen, diese in gewisser Weise ähnlichen Bewusstseinszustände zum Verständnis des Triperlebens heranzuziehen, weshalb ich 3. Freuds Konzeptionierung des Traums herangezogen habe.

:schreib:

Re: Freud, Traum & Trip

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Der Sinn im Triperleben

Heutzutage verbreitete Vorstellungen über die Mechanismen die zum Triperleben führen - sei es von Befürwortern, Kritikern, Spezialisten, Intressierten oder Zaungästen - können von einer kritischen, nach Wissen und Einsicht drängenden Position aus nur als unbefriedigend charakterisiert werden. Von einigen Befürwortern und Konsumenten kann dieses Erleben oft nicht anders als mythisch gedeutet werden, als eine freundliche, gnädige oder feindseelige Kundgebung höherer, oft göttlicher Mächte. Andere, weniger religiös motivierte, oder das göttliche Prinzip in den Menschen versetzende, sprechen von einem aussergewöhnlichen Bewusstseinszustand, der zu höheren Leistungen fähig ist, was die Erkenntnis der Welt und eines Selbst betrifft. Schließlich gibt es noch einen weit verbreiteten Diskurs, der das Triperleben pathologisiert oder ihm zumindest jeden tieferen Sinn abspricht, das erlebte als eine bestenfalls lustvolle Störung der normalen Psyche charakterisiert, als willkürliche Ausflüsse oder Reaktionen bestimmter Bereiche des Gehirn, die keinen tieferen Sinn besitzen.

In all diesen Ansichten steckt ein Kern Einsicht in die wahrnehmbaren Effekte des Triperlebens. Doch sind die angenommenen Mechanismen die zur Erklärung für diese Wahrnehmungen herangezogen werden, und die sich nebenbei auch gegenseitig ausschließen - so traue ich mich zu behaupten - alle falsch. Wie im Traum und dem psychotischem Erfahren sind die aufkommenden Inhalte während eines Trips dem normalen Bewusstsein oftmal fremd, ihre Herkunft unbekannt. Wie der Trip wurden auch Wahn und Traum oftmals einerseits als übersinnliche, andererseits als unsinnige Phänomene betrachtet, bis sich schließlich die Überzeugung durchsetzte, Traum und Psychose wären wesentlich durch die Psyche produziert und ihr Sinn auch aus dem Seelenleben zu erschliessen.

Triperleben als Leistung der Psyche

Ebenso ist das Triperleben eine Leistung der Psyche und findet in ihr auch ihren Sinn. Anders formuliert: Der Inhalt des Erlebten ist ein Produkt der eigenen Psyche und besitzt innerhalb dieses Seelenlebens einen oftmals verborgenen und nur seltener offenkundigen Sinn. Der Inhalt ist zum entscheidenden Teil nicht zufällig entstanden, und schon garnicht eingegeben durch eine in der chemischen Substanz befindliche Macht, sondern entsteht durch einen komplexen psychologischen Vorgang, dem Traum und psychotisches Empfinden ähneln. In diesen Prozessen dringt in der normalen Psyche Verdrängtes oder Unzugängliches mehr oder minder entstellt in das Bewusstsein. Diesen Prozessen liegt allen das individuelle Seelenleben zu Grunde, welches auf Luststeigerung ausgerichtet ist.

Deshalb ist es auch kein Wunder, dass in einer Gesellschaft mit großteils bewusst oder unbewusst religiösen Menschen, das Seelenleben dieser Menschen sich oftmals mit dem Göttlichem auseinandersetzt, sei es in Traum, Psychose, Trip, oder Normalzustand. Dies ist aber keine Erklärung für ein göttliches Prinzip hinter irgendeinem dieser psychischen Vorgänge. Ebenso konsequent muss die These abgelehnt werden, hinter dem ganzen Triperleben würde kein Sinn stehen, es handle sich nur um zufällige, ins Bewusstsein tretende Auschüsse der Hirntätigkeit, die oft als luststeigernd empfunden werden. Diese These wurde schon schlüssig widerlegt was Traum und Psychose betrifft, und auch für das Triperleben gibt es genügend Quellen, seien dies Tripberichte bedeutender Intellektueller, die Ergebnisse von mit den Wirkstoffen experimentierender Psychiater, oder die Aussagen von Triperfahrenen - dass das Triperleben mehr darstellt, als eine willkürliche Zusammenwürfelung einzelner Auschussprodukte des Hirns.

Der Sinn im Triperleben als Produkt DER Psyche für DIE Psyche

Das Triperleben und sein Sinn kann also definiert werden als ein psychischer, und innerhalb der individuellen Psyche schlüssiger und rationaler Prozess, der sich aber wie der Traum in einer für das normale Bewusstsein unverständlichen Weise vollzieht, weil er Verdrängtes und anderes Unbewusstes aufgreift.

Trifft dies zu, könnte auch möglich sein, dass diese Entstellung der unbewusst vorhandenen Gedanken in den konkreten erinnerbaren Inhalten wie im Traum so auch im Trip per Analyse offengelegt werden könnten. Dazu wäre es aber notwendig, ein Grundwissen über die Mechanismen zu besitzen, welche die latent vorhandenen Gedanken entstellen. In diesem Zusammenhng erscheint mir, dass viele Bestimmungen die Freud für die Traumkomposition trifft, auch zum Verständnis der Tripkomposition beitragen könnten. Mein Interesse betrifft daher in erster Linie die möglichen Mechanismen, die das Triperleben prägen, und ähnlich dem Träumen und dem psychotischem Erleben sein könnten. Mir geht es nicht um eine Deutung der Tripinhalte, sondern um die Frage, ob das Triperleben mit diesen Mechanismen besser verstanden werden kann. Ähnlich wie Freud könnte man drei grundsätzliche Ausrichtungen des Triperlebens festmachen, die unvermittelte Wunscherfüllung, die verhüllte Erfüllung verdrängter Wünsche (die Überdeterminierung, Verdichtung, Verschiebung, Entstellung, Komposition der latenten Gedanken in manifeste Tripinhalte), die fehlgeschlagene Wunscherfüllung (der Alptraum). Letztere beide sind von besonderem Interesse für das Verständnis des Triperlebens. Diese Fragen sind wohl alle nur in Bezug auf die große Bedeutung des Unbewussten während dieser Vorgänge zu begreifen. Aber hier Ende ich.

Re: Freud, Traum & Trip

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hi. ja hab ich gewissermaßen für mich geschrieben, um mal die gedanken und überlegungen zum thema etwas zu strukturieren. aber gleichzeitig auch für alle intressierten. und wollte es auch zur Diskussion stellen natürlich. Anlass ist gewißermaßen die vertiefte Beschäftigung mit dieser speziellen Thematik. Interessiere mich generell schon länger für Fragen über das Bewusstsein, wobei dies eher von einer gesellschaftstheoretischen bzw. ideologietheoretischen Ebene aus geschah. Also nicht unmittelbar zusammenhängt mit dem thema hier, sondern nur über ein paar kettenglieder.

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