Das Überich

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Der nachfolgende Text ist ein Kapitel aus dem Buch "Essenz" von A.H.Almaas und der Gute beschreibt imho die Beziehung zwischen Ego und Selbst sehr klar und auf den Punkt.

Das Überich
Wir werden kurz und sehr allgemein die wichtigsten Züge der Schrittfolge der Entwicklung im Falle eines normalen Menschen besprechen. Eine genauere Beschreibung folgt in einer späteren Publikation. Die tiefsten und unmittelbarsten Wahrheiten bleiben der mündlichen Vermittlung vorbehalten, dem Prozess des Lehrens selbst.
Während sich Bewußtheit ausdehnt, wird sich der Mensch als erstes der Notwendigkeit bewußt, Wege zu finden, sich mit seinem Überich auseinanderzusetzen. Das ist die erste wichtige Aufgabe. Ohne die Fähigkeit dazu, wird man es äußerst schwer finden, Bewußtheit weiter auszudehnen und sich mit dem Unbewußten auseinanderzusetzen.
Der Grund dafür ist, daß der Status quo der Persönlichkeit vom Überich aufrechterhalten wird, und zwar besonders dadurch, daß das Unbewußte mittels der Abwehrmechanismen des Ich unbewußt gehalten wird. Die Instanz, die diese Abwehrfunktionen erzwingt, ist das Überich.
Wir müssen den Verdrängungsprozess begreifen, um diesen Mechanismus besser zu verstehen: Bewußtheit des unbewußten Materials macht dem Ich Angst. Das Ich antwortet auf Angst mit Verdrängung; es schneidet Bewußtheit vom auftauchenden unbewußten Material ab. So vermeidet es die Erfahrung der Angst und damit die desintegrierende Wirkung der Angst auf die Ich-Struktur.
Ursprünglich war die Angst die Furcht vor den Gewalt ausübenden Mächten in der Kindheit, repräsentiert vor allem durch die Eltern. Wann immer die Eltern etwas mißbilligen, was das Kind tut oder fühlt - und das geschieht wiederholt - lernt das Kind, aus Furcht vor dieser Mißbilligung und auch aus Liebe zu den Eltern, die jeweilige Handlung und das jeweilige Gefühl zu unterdrücken und schließlich zu verdrängen. Mit der Zeit aber wird die Mißbilligung als Teil des eigenen Überich des Kindes internalisiert. Wenn dann eine Situation diese besondere Handlung oder dieses Gefühl provoziert, antwortet das Überich des Kindes mit Mißbilligung und straft das Kind mit Schuldgefühl, Scham und anderen schmerzhaften Affekten. Die Furcht wird die Furcht vor dem eigenen Überich. Das Kind lernt aus dieser Furcht vor dem Überich und der Strafe, sich auf die gleiche Weise zu verteidigen wie gegen seine Eltern. Es verdrängt die jeweilige Handlung oder das jeweilige Gefühl. Es schneidet die Bewußtheit seiner eigenen Impulse, Gefühle und Handlungen ab. Damit das wirksam sein kann, muß der ganze Mechanismus unbewußt und automatisch sein. Das Unbewußte bleibt aus Furcht vor dem Überich, und um sich gegen seine Angriffe zu schützen, unbewußt. So wird das Überich die innere Zwangsinstanz, die über den Status quo der Persönlichkeit wacht.
Das bedeutet, daß man sich, wenn man Bewußtheit entwickelt und einiger Teile des Unbewußten bewußt wird, der Furcht vor dem Überich und, wenn man über diese Furcht hinausgeht, seinen Angriffen selbst aussetzt. Abgesehen davon, daß diese Konfrontation mit dem Übrich viel Schmerz und Leiden verursacht, hemmt sie Bewußtheit und ihre Ausdehnung, bis man eine Lösung für diese Situation findet.
Die Psychoanalyse analysiert in so einem Fall die Situation und versucht, ihre Entstehung zu verstehen. Mit der Zeit verbessert dieser Prozess die Situation. Das Überich wird in seinen Forderungen und Normen realistischer und seine Angriffe milder. Andere Schulen benutzen andere Methoden, um mit dem Überich direkt oder indirekt zu arbeiten, aber alle psychotherapeutischen Methoden arbeiten nur daraufhin, die Situation zu verbessern. Das Überich bleibt ein wichtiger und aktiver Teil der Persönlichkeit. Die Möglichkeit der vollkommenen Auflösung des Überich liegt nicht im Blickwinkel von Psychotherapie und wird von ihr auch nicht als wünschenswertes Ziel gesehen.
Es liegt auf der Hand, daß das so ist, weil in der 'Weltanschauung' des Analytikers und des Psychotherapeuten Essenz nicht vorkommt. Die Präsenz von Essenz, mit ihrer unmittelbaren und objektiven Wahrnehmung und ihrer ausgeglichenen menschlichen Natur ist unbekannt, so daß ein Leben ohne das Überich und stattdessen mit einer objektiven Wahrnehmung im Horizont des Möglichen nicht vorkommt. Das Vermögen der Essenz, zu wissen und ihrem Wissen gemäß zu handeln, wird nicht gesehen. Es bleibt also immer der Glaube an die Notwendigkeit, daß Ideale, Moral und Regeln das Leben lenken müssen. Aus unserer Perspektive ist das Überich die innere Zwangsinstanz, die der Ausdehnung von Bewußtheit und der inneren Entwicklung entgegensteht, unabhängig davon wie milde oder vernünftig es wird. Es ist ein Ersatz, und zwar ein grausamer, für unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Wissen. Innere Entwicklung verlangt, daß es mit der Zeit keine inneren Instanzen mehr gibt, die innere Gewalt ausüben. Stattdessen gibt es dann eine innere Regulierung, die auf objektiver Wahrnehmung, Verstehen und Liebe beruht.
Der beste Wegist der, Macht und Einfluß des Überich zu vermindern und es soweit wie möglich mit Bewußtheit zu ersetzen, bis schließlich zu seiner endgültigen und vollkommenen Absetzung. Dadurch werden wiederum einige wichtige Aspekte von Essenz etabliert.
Das Ich reagiert auf das Überich automatisch und unbewußt mit Verdrängung von Teilen der Persönlichkeit, um sich vor seinen schmerzhaften Angriffen zu schützen. Eine wirksame Weise mit dem Überich zu arbeiten, besteht darin, zu lernen, sich auf eine andere Weise gegen seine Angriffe zu schützen, als verdrängen oder die anderen unbewußten Abwehrmechanismen einsetzen zu müssen. Die Methode muß bewußt und gezielt sein, im Gegensatz zu den gewohnheitsmäßigen, automatischen Reaktionen, die nur Unbewußtheit fördern können. Lernen, wie man sich bewußt und gezielt gegen das Überich und seine Angriffe verteidigt, bedeutet ein ganz neues Verstehen und eine ganze innere Technologie zu lernen. Sie nutzt das Wissen davon, was das Überich ist, und die eigene Intelligenz, um mit ihm umzugehen und sich gegen seine Angriffe zu verteidigen.
Ein einfaches Beispiel, um diese Methode zu veranschaulichen: Angenommen ein Mann reagiert jedesmal mit Scham, wenn er ein zärtliches Gefühl für einen anderen Menschen empfindet. Das Überich attackiert ihn mit Scham und Herabsetzung, entsprechend dem Urteil, daß Zärtlichkeit bei einem Mann heißt, daß er schwach und feminin ist. Um anzufangen an seinem Überich zu arbeiten, muß er sich zuerst des Angriffs, seines Inhalts und des Inhalts des Urteil bewußt sein. Dann muß er das Urteil psychodynamisch verstehen. Zum Beispiel könnte er sich daran erinnern, daß sein Vater die Einstellung hatte, daß Männer hart sein sollten und Zärtlichkeit nur zu Mädchen und Frauen paßt. Dann versteht er, daß er die Haltung seines Vaters introjiziert hat und sie zum Teil seines Überich gemacht hat. Normalerweise reagiert er auf diese Haltung, die ein Angriff auf ihn selbst ist, mit Scham und Verdrängung. Er wendet jetzt diese Methode an, stellt sich seinen Vater vor und sagt ihm: "Papa, laß mich in Ruhe' Du kannst von mir denken, was Du willst." Er geht mit seinem Überich so um, wie er es als Kind mit seinem Vater nicht gekonnt hätte. Er hatte sich gegen seinen Vater nicht wehren können, weil er ihm geglaubt hat, Angst vor ihm hatte und ihn brauchte. Diese Methode wirkt vielleicht nicht das erste Mal, aber wenn man es mehrmals wiederholt, wird es die Aggressionen des Mannnes an die Oberfläche bringen und er wird lernen, sich zu behaupten und sich von der Haltung seines Vaters zu trennen.
Die Abwehr muß intelligent sein, damit sie wirkt. Wenn der Mann zum Beispiel antwortet: "Vater, es ist nicht wahr, daß ich schwach und feminin bin. Zärtlichkeit ist gut, und bedeutet nicht Schwäche oder Feminin sein", dann argumentiert er mit einem Überich, daß nicht wirklich rational ist. Außerdem hat er diese Antwort wahrscheinlich auch schon viele Male versucht, aber ohne Erfolg, weil er mit dieser Antwort in der Defensive ist. Er versucht, sein Gefühl zu rechtfertigen und jemand anders bestätigen zu lassen, daß er in Ordnung ist. Eine Rechtfertigung impliziert schon ein gewisses Schuldgefühl, deshalb wirkt sie nicht. Die Antwort: "Papa, laß mich in Ruhe!" ist wirksam, weil sie kein Versuch der Erklärung oder Rechtfertigung ist und es deshalb auch keine Implikation unbewußter Schuld gibt. Der Mann wirft den Angriff einfach zurück und weigert sich, ihren Inhalt zu hören. Er distanziert sich vollkommmen vom Überich und gibt ihm keine Macht über sich.
Es ist schwer, die Kraft und Effektivität dieser Methode einzuschätzen, ohne sie zu erlernen und eine gewisse Zeit lang zu versuchen. Aber wenn man lernt, sich gegen sein Überich zu verteidigen, dann braucht man mit der Zeit die unbewußten Abwehrmechanismen nicht mehr. Dann bringt ein wenig Arbeit an Aufmerksamkeit und Wachheit das unbewußte Material ans Licht. Das ist ein ein allmählicher Prozess der Öffnung des Unbewußten, der für innere Entwicklung von äußerster Wichtigkeit ist. Man lernt, so geschickt und gewandt im Umgang mit
dem Überich zu werden, daß es nach und nach seinen Griff lockert. Die Struktur des Überich selbst wird für das Verstehen bloßgelegt und das hilft, ihre strukturelle Basis auflösen.
Diese Methode wird, wenn sie bis zu Ende angewandt wird, zur Verwirklichung und Entwicklung verschiedener essentieller Aspekte führen. Die Aktivierung von Aggression für Abwehr und Selbstbehauptung führt zum essentiellen Aspekt der Stärke. Mit der Zeit führt sie dann zum essentiellen Aspekt des Selbst, der wahren Identität. Die Intelligenz, die man bei dieser Methode braucht, entwickelt sich mit der Zeit zum Aspekt objektiven Bewußtseins, dem Diamant-Körper. Die moralischen Regeln und Normen des Urteilens weichen allmählich dem essentiellen Gewissen. Dieser Aspekt von Essenz wird der wahre Beschützer der Essenz, die wahre Abwehr, und ersetzt die unbewußten Abwehrmechanismen des Ich.
Die Arbeit auf diese Ebene der Verwirklichung hin führt dann zur Arbeit mit dem Ich und dem Es, den tieferen Determinanten der Struktur des Überich.
And I'll spread my wings 'till sun and moon, singing the song of life, dancing the dance of life, becoming life itself, no longer knowing, that I am.

Re: Das Überich

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Mir hat gestern Abend dein Artikel gut geholfen. Auf Trips kommen bei mir gelegendlich Fragen auf, ob ich überhaupt das richtige mache, ob das nicht nur eine Verirrung ist, was mir das bringt usw. und ich versuchte meist, mit gescheiten Argumenten, gegen diese Fragen zu argumentieren. Dies gelang immer nur bis zu einem gewissen grad. Gestern kamen wieder diese Fragen auf und ich stellte mich ihnen endgegen und machte mir klar, dass ich ihnen gar nicht zuhören brauche, denn ich vertraue mir selbst und meinen eigenen Erfahrungen mehr, als den verachtenden Meinungen. Danach war für eine Weile nur noch Licht :2daumen: .

Viele Grüße
Phönix
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Das Überich

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Zufälle, Synchronizität ... auf jeden Fall hat es gepasst und mir gezeigt, dass mein Über-Ich (ist der Begriff in der Psychologie eigentlich inzwischen veraltet ? :denk: ) stärker ist als bisher dachte, aber auch zum schweigen gebracht werden kann. Wunderbar :freu:
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Das Überich

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.... Über-Ich (ist der Begriff in der Psychologie eigentlich inzwischen veraltet ? :denk: ) ....
Nachdem es dazu ca. hundertzweiundachzigtausend Einträge gibt und der Wiki-Eintrag zuletzt am

23. Juni 2008 um 13:33 Uhr

geändert wurde, würde ich mal behaupten, daß das nach wie vor aktuell ist. :klug:

Besonders spannend finde ich dort den Absatz:
Wenn ein Mensch zu denken beginnt, geschieht dies bereits unter dem Einfluss des Über-Ichs, und der darin enthaltenen grundsätzlichen Wertvorstellungen. Da er diese als seine ureigenen empfindet und er seine persönliche Identität aus ihnen bezieht, kann er sich durch rationales Denken nur sehr bedingt von ihnen distanzieren oder emanzipieren.
Das ist halt das typische an einer Psychologie, die nichts von Moksha weiß.

Deshalb hat der Almaas ja auch geschrieben:
Die Psychoanalyse analysiert in so einem Fall die Situation und versucht, ihre Entstehung zu verstehen. Mit der Zeit verbessert dieser Prozess die Situation. Das Überich wird in seinen Forderungen und Normen realistischer und seine Angriffe milder. Andere Schulen benutzen andere Methoden, um mit dem Überich direkt oder indirekt zu arbeiten, aber alle psychotherapeutischen Methoden arbeiten nur daraufhin, die Situation zu verbessern. Das Überich bleibt ein wichtiger und aktiver Teil der Persönlichkeit. Die Möglichkeit der vollkommenen Auflösung des Überich liegt nicht im Blickwinkel von Psychotherapie und wird von ihr auch nicht als wünschenswertes Ziel gesehen.
Es liegt auf der Hand, daß das so ist, weil in der 'Weltanschauung' des Analytikers und des Psychotherapeuten Essenz nicht vorkommt. Die Präsenz von Essenz, mit ihrer unmittelbaren und objektiven Wahrnehmung und ihrer ausgeglichenen menschlichen Natur ist unbekannt, so daß ein Leben ohne das Überich und stattdessen mit einer objektiven Wahrnehmung im Horizont des Möglichen nicht vorkommt.
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Re: Das Überich

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Oh schein also wirklich noch ein aktueller Begriff zu sein. Den Wiki Eintrag hab ich auch gestern noch mal gelesen und gerade die von dir zitierte Passage ist mir auch aufgefallen. Leider ist daran schon viel wahres. Die meisten Menschen richten ihr Leben stark nach dem aus, was sie für richtig und was für falsch halten, ohne sich darüber Gedanken machen, warum sie dies für wahr oder falsch halten und woher ihre Auffassung kommt. Ich musste dabei an ein aktuelles Beispiel denken. Sarah Palin, die mögliche Vizepräsidentin in den USA, vertritt ein sehr konservatives Weltbild, vermutlich, weil es ihr anerzogen wurde und ihr Verhalten und Denken steuert ohne dass sie auf die Idee käme, ihr Über-Ich, also den Teil, der die Werte und Normen introjiziert hat, in Frage zu stellen. Sie selbst vertritt die Auffassung, dass Kinder nicht sexuell Aufgeklärt werden sollen an Schulen und hat wohl auch nicht ihre Tochter aufgeklärt, die nun mit 17 schwanger ist und unverheiratet. Obwohl die Tochter es selbst erfahren hat, dass keine Aufklärung offensichtilich nicht funktioniert, wird sie jedoch vermutlich genauso handeln, wenn sie nicht vorherher ihr Wertesystem stark in Frage gestellt wird. Ziemlich Zombihaft, was ?

Die Idee aus Essenz ist sicher niocht neu, aber gut ausgearbeitet. Die Frage, was richtig und was falsch ist sollte nicht durch ein anerzogenes Wertesystem entschieden werden, sondern durch die Erkenntniss des einzelnen. Interesanterweise hätte dies auch pädagogische Konsequenzen. Ein Autoritäres Erziehungsystem wie es bei uns meist vorkommt, ziehlt darauf ab, dem Kind ein funktionales Über-Ich anzuerziehen, damit es sich gesellschaftskomform verhält. Meiner Meinung nach ist der Fehler bei Roussou und der Anti-Autoritären Erziehung der, dass eine zu optimistische Annahme über die Natur des Kindes aufgestellt wird. Wird dem Kind nicht durch Bestrafung ein gesellschaftskonformes Über-Ich anerzogen, ist es aber nicht zwangsläufig ein grundgutes Weses. Was dem Kind fehlt, ist eine Möglichkeit selbst zu erkennen, was gut ist und was nicht. Hier müsste es bessere erzieherische Methoden geben, die dies ermöglichen und so dem Herranwachsendem Menschen ermöglichen, selbst zu sehen, was richtig ist und was nicht, anstatt nur zu tun, was man für richtig hält, da man ansonsten Strafe befürchtet.

Viele Grüße,
Phönix
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(William Blake)

Re: Das Überich

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Phönix hat geschrieben:....Die Idee aus Essenz ist sicher nicht neu, aber gut ausgearbeitet. ....
Hallo Phönix,

Du hast den einzigen Grund genannt, warum ich Almaas zitiere. Ich habe bei ihm eine Klarheit bezüglich dieser Thematik gefunden, die ich bei vielen Anderen vermisse.
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Re: Das Überich

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Ich mache zur Zeit in meiner Ziviarbeit äußerst ambivalente Erfahrungen die mich vor starke Selbszweifel führen. Es geht um die Sinnhaftigkeit meiner Arbeit. Es passt irgendwie zu dem Thema und ich weiß auch nicht ob mir da überhaupt jemand helfen kann. :(

Ich arbeite in einer psychatrischen Kindertagesklinik für Kinder im Schul- und Vorschulalter, wo ich im Prinzip genau dasselbe mache wie die Erzieher ... also Kinder Betreuen und "erziehen".

Ich frage mich mehr und mehr ob die Art und Lehre der Erzieheung die dem gesamten pädagogischen Bereich vorangeht und diesen bildet auch nur ansatzweise gut für die Entwicklung der Kinder ist, von den Methoden der Psychatrie ganz zu schweigen.

Es wird eigentlich nichts anderes gemacht als die Kinder zum "Funktionieren" zu zwingen. Sie werden gesellschaftsfähig gemacht durch Bestrafung und Belohnung, nach den Werten, welche die erziehenden Erwachsenen internalisiert haben und deren Vorstellungen von gut und böse, richtig und falsch werden auf die Kinder projeziert. Ihnen wird sozusagen ein Stempel aufgedrückt der nicht ihrem selbst entspricht.

Sind sie so wie sie sind: Anders, seelisch verletzt, in ihrer eigenen Welt, so werden sie pharmakologisch therapiert mit Drogen, die ihnen ihre Kindlichkeit nehmen, ihr Bewusstsein einschränken.

Was soll Erziehung dann überhaupt bringen, wenn sie den späteren Menschen eine quälende, verblendende Instanz beschert. Was bringt das Überich, wenn es von der hirarchisch übergeordneten Generation stammt. Orientiert es sich dann überhaupt am individuellen seelischen Entwicklungsprozess des Kindes. Und vor allem : Ist diese Über-Ich-Bildung überhaupt "natürlich" und notwendig. Gab es vielleicht mal eine Zeit, inder die Beziehung zwischen Kindern und Eltern anders verlief ? Wenn eines unserer Hühner Kücken hat sehe ich es jedenfalls nicht ihre Kinder picken.

peace mao
Take pain as a game.

Re: Das Überich

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@ Startpost und Eule

Haste das etwa abgetippt, dich fieser Genickstarre ausliefernd, um uns das zukommen zu lassen? ;) Danke. Hab mir das Buch nun bestellt, nachdem es mir immer zu teuer für einen Blindkauf war - scheint doch was zu sein.

@ Mao

Erziehung ist ja hier nicht zentralisiert, wie einst in Sparta zB, auch wenn eine wachsende Gruppe das mitlerweile wohl glaubt, dass ihre Blagen in den Lehreinrichtungen auch noch erzogen würden ^^ ...anyway...letztendlich hat man doch -wenn auch begrenzt - eine Menge Freiraum sein Kind nach eigenen Vorstellungen zu erziehen. In eine solche Tagesklinik kommen doch nun Kinder, die ein Problem mit dem "Funktionieren auf gesellschaftlicher Ebene" haben, und eben das wird ihnen dort beigebracht, nicht mehr nicht weniger. Sie werden dort nicht zu besseren oder glücklicheren Menschen gemacht, ihnen wird quasi nur das Radfahren beigebracht, was nicht schadet wenn mans kann, deswegen aber besteht das Leben des Kindes ja nicht ausschließlich aus Radeln, sondern auchnoch aus Schlittschuh laufen und spazieren gehen usw. Und das ist vielleicht etwas, was in solchen "Schulen" nicht vermittelt wird - dort wird halt so getan, als wären Sattel und Hintern verwachsen.

Gruß
Schuh
~ Resting in Peace ~

Re: Das Überich

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Was soll Erziehung dann überhaupt bringen, wenn sie den späteren Menschen eine quälende, verblendende Instanz beschert. Was bringt das Überich, wenn es von der hirarchisch übergeordneten Generation stammt. Orientiert es sich dann überhaupt am individuellen seelischen Entwicklungsprozess des Kindes. Und vor allem : Ist diese Über-Ich-Bildung überhaupt "natürlich" und notwendig. Gab es vielleicht mal eine Zeit, inder die Beziehung zwischen Kindern und Eltern anders verlief ? Wenn eines unserer Hühner Kücken hat sehe ich es jedenfalls nicht ihre Kinder picken.
Also deine Erfahrungungen sind wirklich traurig...aber es scheint mir, als wollen auch die Menschen in einer Psychatrie das Beste für ihre Patienten, wissen aber wohl zum einen nicht genau, was dies ist noch wie dies zu erreichen ist. Aller dings scheint es mir schon, dass die Konstruktion des Über Ichs ein natürlicher Prozess ist bei Lebewesen, mit individuellem Bewustsein. Vielleicht ist das Über-Ich bei kücken nicht besonders ausgeprägt, weil sich dort auch die Ich-Strukturnicht oder, wenn überhaupt nur schwach ausgebildet hat. Deswegen läuft auch bei vielen Tieren die Erziehung des Nachwuchses anders ab, als beim Menschen. Wenn ein Lebewesen jedoch in einer Gesellschaft lebt und eine ausgeprägt Ich-Struktur bildet, so muss dieses Lebewesen ja auch gleichzeitig eine Struktur bilden, die das Lebewesen sozialverträglich macht, damit diese nicht nur ihren Bedürfnissen folgt. Ein durch Nachahmung anderer und durch Belohnung und Strafe verstärkes Über-Ich scheint eine sehr einfache Methode zu sein, dies zu erreichen. Das es mal einen Idealzustand gab, indem alle Menschen friedlich und unkonditioniert miteinander lebten, scheint zumindest unrealistisch. Die neue Frage ist ja nun, wie man einem Menschen beibringen kann, wie es sich in einer Gesellschaft verhalten kann, ohne ihn zu konditionieren.
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Das Überich

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Mao hat geschrieben:.... Ich frage mich mehr und mehr .... Was soll Erziehung dann überhaupt bringen, wenn sie den späteren Menschen eine quälende, verblendende Instanz beschert. Was bringt das Überich,....
Dr. Schuh und Phönix haben das im Grunde schon beantwortet.

Sicherlich ist es quälend, mit anzusehen, wie die Kids verbogen werden. Ich halte es jedoch für unvermeidlich{naja, fast}, daß das Überich sich ausbildet. Du kannst auch nicht aus dem Gefängnis{der Persönlichkeit}, wenn Dir nicht bewußt ist, daß Du eingesperrt bist.

Das ist aber imho nicht das Problem, daß diese Kids haben. Eine instabile Psyche ist auch ein Gefängnis, nur daß sich zusätzlich noch ständig die Wände und der Boden bewegen. Für den größten Teil dürfte es letztlich eine enorme Erleichterung sein, eine Persönlichkeit zu entwickeln, an der sie sich festhalten können, also die Geisterbahn gegen einen Knast einzutauschen, der drei Mahlzeiten und eine eigene kleine Zelle bereitstellt.
Dr.Schuh hat geschrieben:@ Startpost und Eule: Haste das etwa abgetippt, dich fieser Genickstarre ausliefernd, um uns das zukommen zu lassen? ;) Danke. Hab mir das Buch nun bestellt, nachdem es mir immer zu teuer für einen Blindkauf war - scheint doch was zu sein.
Neee, ich habe zwischenzeitlich einen SCÄNNÄÄÄHhhh!!! :rocker:

Noch einen Tip zum Almaas: Fang mit dem fünften Kapitel an und ließ das Buch dann erst von Anfang an.
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Re: Das Überich

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Eulenspiegel hat geschrieben:Das ist aber imho nicht das Problem, daß diese Kids haben. Eine instabile Psyche ist auch ein Gefängnis, nur daß sich zusätzlich noch ständig die Wände und der Boden bewegen. Für den größten Teil dürfte es letztlich eine enorme Erleichterung sein, eine Persönlichkeit zu entwickeln, an der sie sich festhalten können, also die Geisterbahn gegen einen Knast einzutauschen, der drei Mahlzeiten und eine eigene kleine Zelle bereitstellt.
Ein wirklich klasse anschauliches Bild! .... das mit den wackelnden Wänden und Böden, sowie der Geisterbahn.
Ich stelle mir in Bezug auf geistig behinderte Menschen häufig die Frage, wie diese wohl ihren Zustand erleben. Für sie ist ihr Zustand, da sie wahrscheinlich den allgemein normalen Zustand gleichaltriger Menschen nicht kennen können, ja so normal, so Gefägnis, wie es das Normale für uns ist. Ist es dann nicht vielleicht auch möglich, dass sie eine Umpolung in richtung allgemein Zustand in etwa so empfinden und erleben würden, wie wir es auf der anderen Seite würden, käme jemand darauf, die Allgemeinen in ihre Richtung zu manipulieren?

.... diese Ausdrücke Normal und sie & wir und sowas bitte nicht wertend nehmen. Nicht zähle ich mich oder irgendwen zu uns, noch maße ich mir an, in die andere Richtung zu bestimmen.

Gruß,
anima
My bubble -- my rules

Re: Das Überich

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:) hallo forum

ich möchte mich für den von eulenspiegel geposteten artikel bedanken.
der zitierte text von almaas hat mir ermöglicht das von mir erst kürzlich erlebte in einer gesteigerten klarheit zu sehen.


ich leide seit langer zeit an einer mittelgradig bis schwer ausgeprägten sozialphobie, deren ursprünge wohl in einer subtilen aber konsequenten herabsetztung und kränkung durch meine mutter seit kindesalter (nicht erwachsen, erfolgreich, gut genug), und einem prinzipiellen mangel an familiär ausgedrückten emotionen, insbesondere dem srtikten ablehnen von "negativen" gefühlen wie aggression und wut ( "wir sind aufgeklärte menschen, haben es nicht mehr nötig uns gegenseitig die köpfe einzuschlagen..").

herabsetzung -> kränkung, trauer, wut -> über-ich -> scham und autoaggression, da wut inaktzeptabel -> tadaa, geistiger krüppel ;)

es hat div. horrortrips, jahre der psychotherapie, und andere formen innerer arbeit benötigt um meine wut völlig frei von selbstkasteiung fliessen zu lassen, um schliesslich zu erkennen wie unverzichtbar selbstschutz ist.

Die Antwort: "Papa, laß mich in Ruhe!" ist wirksam, weil sie kein Versuch der Erklärung oder Rechtfertigung ist und es deshalb auch keine Implikation unbewußter Schuld gibt. Der Mann wirft den Angriff einfach zurück und weigert sich, ihren Inhalt zu hören. Er distanziert sich vollkommmen vom Überich und gibt ihm keine Macht über sich.
etwa 1 woche vor dem lesen dieses textes, nachdem ich meiner wut uneingeschränkten zugriff auf mein bewusstsein erlaubte, spielte ich mit meinem therapeuten einen dialog mit meiner mutter durch, der von selbst mit den worten:" mama, ich kann und werde mich nicht mehr um deine vorstellungen über mich kümmern"
Die Aktivierung von Aggression für Abwehr und Selbstbehauptung führt zum essentiellen Aspekt der Stärke.
und im moment des ausprechens dieser worte spürte ich die veränderung.
der kloss, der verhärtete ball voll wut unter meinem sternum lockerte sich, löste sich und floss spürbar verändert richtung schulterpartie wo er sich dann als ein gefühl der "positiven" aggression zum ziel der selbstbehauptung und des selbstschutzes manifestierte.

hab mir mach lesen des textes dann gleich das buch eines schülers von almaas bestellt, eine art übungsbuch zum umgang mit dem inneren richter.

http://www.amazon.de/Befreiung-vom-inne ... 993&sr=8-1" onclick="window.open(this.href);return false;

wollt ich mal hier bemerkt haben.
dankeschön :)

Re: Das Überich

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Eulenspiegel hat geschrieben: Das ist aber imho nicht das Problem, daß diese Kids haben. Eine instabile Psyche ist auch ein Gefängnis, nur daß sich zusätzlich noch ständig die Wände und der Boden bewegen. Für den größten Teil dürfte es letztlich eine enorme Erleichterung sein, eine Persönlichkeit zu entwickeln, an der sie sich festhalten können, also die Geisterbahn gegen einen Knast einzutauschen, der drei Mahlzeiten und eine eigene kleine Zelle bereitstellt.
Mhh, gäbe es aus deiner Sicht keinen anderen Weg? So wie ich dich verstehe (vielleicht interpretier ich das falsch) meinst du also das diese gefestigte persönlichkeit (nach den Normen der gesellschaft ausgerichtet) bestehen muss bevor man versuchen kann an sich zu arbeiten? Wäre das nicht auch aus "verrückten" Ausgangslagen möglich? Wäre es da schwieriger? Ist denn ein sich bewegender Boden der Zelle nicht schon "vernünftiger" als die illusion eines festen hauses das vor allen schwierigkeiten schützt und in dem nichts böses existiert?

Gruß

Leary
„Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu werden, wenn du nicht erst Asche geworden bist!“

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