Das Erweiterte Bewusstsein im Lichte der Wissenschaft

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Liebe Community,

nachdem ich in den letzten Monaten viel über die Funktionsweise des Gehirns gelesen, einiges verstanden, jedoch nur wenig behalten habe :D , stellt sich mir immer wieder eine Frage, die ich vor allem aus der Fachliteratur abzuleiten versuchte, die jedoch nur selten direkt beschrieben und meines Erachtens nie hinreichend beantwortet wurde. Aber da es mir nur möglich war, einen kleinen Teil der allerorts und allzeit beschriebenen Literatur zu verschlingen, hoffe ich, dass Ihr etwas Licht ins Dunkel bringen könnt.

Was sind die neuro-physiologischen Prozesse, die mit einem erweiterten Bewusstseinszustandes einher gehen?

Damit verbunden ist natürlich die immer wieder von mir gestellte Frage, ob das erweiterte Bewusstsein, wie überwiegend in der Literatur beschrieben, auf Veränderungen an den Synapsen und im Stoffwechselprozess zurückzuführen ist und infolgedessen Filter für Wichtiges und Unwichtiges manipuliert werden oder ob das Bewusstsein in diesen Sphären tatsächlich auf weit tiefgreifendere Abläufe im Gehirn zurückgreift, diese verstehen lernt und in ihnen gar Veränderung bewirken kann. Das subjektive Empfinden weicht meines Erachtens radikal von den theoretischen Fakten und deren (Be)deutung ab. Dies führt u. a. dazu, dass dem Unwissenden ein völlig falsches, verzerrtes Bild über diese Substanzen vermittelt wird. Außenstehende haben keine Möglichkeit nur ansatzweise zu begreifen, was während eines Trips passiert und welche Folgen sich aus solch einer Reise ergeben (können). Beschreibungen fangen erst dann an sinnhaft zu werden, wenn sie symbolischer Natur sind und versuchen die Erlebnisse durch rhetorische Stilmittel zu umschreiben. Doch selbst damit findet man sich schnell an den Grenzen der sprachlichen Darstellbarkeit wider - denn wie aus einem Traum können nur einige Inhalte "transportiert", längerfristig gespeichert und mit dem Alltagsbewusstsein verknüpft werden.
Um diese Unvereinbarkeit zwischen einfachen Wirkmechanismen und der tatsächlichen Wirkung hervorzuheben, versuche ich symbolisch widerzugeben, welch wundersame Eigenarten sich im erweiterten Bewusstsein entwickeln können, die sich für mich neuro-physiologisch jedoch nicht erklären lassen:

"Ich habe das Gefühl, psychedelische Substanzen erzeugen eine Wahrnehmung und vermitteln damit eine Welt, die um Ebenen tiefer liegt, als die nüchtern empfundene; die Verarbeitungen, welche unter normalen Umständen unterbewusst vonstatten gehen und aus denen nur das Ergebnis bewusst gemacht wird, ist nunmehr direkt greifbar und präsent - in all ihrer Komplexität und Vielseitigkeit. Die Gesetze der Physik werden anschaulich und verbinden sich in direkter Weise mit unserer Wahrnehmung; Zusammenhänge in der Evolution werden deutlich und vermitteln mir ein Bild, warum die Menschen so sind, wie sie sind und warum sie Verhaltensweisen ausgebildet haben, die wir lieber im Lichte des freien Willens sehen möchten anstatt im Schatten eines uns dominierenden, auf der Evolution begründeten Gehirns; gleichzeitig leuchtet meine Vergangenheit vor mir auf und offenbart mir, welche meiner Charakter-Eigenschaften wo bzw. wann ihre Wurzeln haben. Wie im Großen so im Kleinen. Wie in der Welt so in mir. Diese außergewöhnlichen Erkenntnisse stellen aber nur eine Seite der komplexen Wirkung dar, denn neben den tiefgreifenden Erkenntnis-Prozessen, die dem Finden der Weltformel gleichkommen kann, wachsen auch allerlei absurde, alberne, verwirrende und auch schweigsame Gedanken und Gefühle empor - und das in einer derart lebendigen Art und Weise und in solch rasender Geschwindigkeit, das sich oft das Formulieren dieser wertvollen Erkenntnisse zu einer Farce entwickelt, weil mir während des Redens die Absurdität der Situation bewusst wird und ich nicht umhin kann, meine "Weltformel" lachend zum Besten zu geben. Das wiederum entzieht meinen Worten jede Sinnhaftigkeit.
Die Welt entwickelt sich zur Kulisse, auf ihr: ein Maskenball. Tausend Seelen wandern auf ihr herum, alle getrieben und gezogen durch ihre Motivation; doch diese wiederum entpuppt sich als eine individuelle Festigung gesellschaftlicher Strukturen, als faszinierendes Machwerk eines deterministisches Systems ohne Leitfaden. In dieser tiefgreifenden Erlebniswelt erscheint nun alles anders. Umherlaufende Menschen wirken gedankenlos, leer. Doch man selbst ist zumeist auch nicht von der alles wissenden Klarheit geprägt, sondern vielmehr im Wechselbad seiner Gefühle gefangen - mit plötzlich aufsteigenden Geistesblitzen erleuchtender oder verständnisloser Art.

Doch das für mich größte Faszinotikaum stellt die Verarbeitung des eigenen Lebens während und nach dieser Reise dar. In mir fest sitzende Muster, die ich vordem nie als eigentliches Problem erkannt habe, entwickeln sodann eine völlig neue Bedeutung; mehr noch: sie steigern sich unaufhörlich zum symbolischen Ausdruck meiner Gedanken und Gefühle - schlagartig werden sie entfesselt und nicht selten auch von mächtigen Halluzinationen begleitet. Es formt sich eine Welt, die nicht vorhersehbar, nicht steuerbar ist, die völlig surreal wirkt und sich jeder nüchternen Betrachtung entzieht, aber in ihrer Essenz so mächtig und bestimmend auf einen einwirkt, dass es dem gesamten bisherigen Leben das Fundament zu entziehen scheint. Diese Gedanken und Gefühle war bereits vor dem Trip unterbewusst aktiv, dominierte womöglich unsere Gefühlswelt, unser Verhalten, unsere Leiden, unsere Ängste. Doch dies passierte zuvor auf subtile, indirekte Art und Weise: wir fühlte das Ergebnis und waren irritiert über unser Innenleben, verloren den logischen Halt in unsere Leben und entfremdeten uns womöglich gar von uns selbst - undeutlich schienen die Gründe dafür zu sein, unverständlich ihr Wirken. Doch in diesem Feuer des Erlebens beginnt eine Verarbeitung - ja geradezu ein Kampf - der die uns fesselnden Knoten entwirren und selbst tief verwurzelte und fest sitzende Traumata auflösen kann. Dies ist dann der Moment des großen Erwachsens, der emotionalen Befreiung, der Wiedergeburt; das unsagbar euphorische Gefühl eines tiefgreifenden Wandels überschwemmt uns und leutet nicht selten ein neues Kapitel in unserem Leben ein."

Dies ist nur eine kurze Beschreibung und greift nur einige wenige Facetten auf, die mir aufgrund ihrer Bedeutung gerade präsent sind. Derartige Beschreibungen ließen sich noch ins Unendliche fortsetzen und können sicherlich von jedem von Euch hinreichend ergänzt werden.

Doch wie erklären sich derartige Phänomene, wie ich sie oben geschildert habe, in ihren neuro-physiologische Aktivitäten? Es wirkt geradezu lächerlich banal, wenn man derartigen Erfahrungsberichten gegenüber eine Erklärung liest, in der diese unbeschreibliche Wirkung, die man selbst empfunden hat, die einen auch nachhaltig prägen konnte, auf die andockenden Moleküle an den Serotonin-Rezeptoren zurückgeführt wird; wenn man lediglich von einer Datenflut spricht, dem Aufheben der Fähigkeit zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden zu können. Angesichts des subjektiven Empfindens ist das bestenfalls eine Facette, die im Meer der Erfahrungen untergeht, die aber keinesfalls das volle Spektrum der Erfahrungen begründen kann. Und die oftmalige Reduzierung der Wirkung auf die reine (Pseudo-)Halluzination, spottet jedem Erleben und führt dadurch nicht selten zu einer völlig absurden Vorstellungen über die Wirkung von Psychedelika, mitsamt seltsam anmutenden Fragen in den diversen Internetforen. ;)

Wenn wir von Bewusstseinserweiterung reden, erweitert sich das Bewusstsein dann tatsächlich? Steigert sich die Aktivität in der Großhirnrinde (dies müsste zu einer stärkeren Durchblutung und einem höheren Sauerstoffverbrauch führen)? Erhält die Großhirnrinde mehr Informationen von den unterschiedlichen (Sub-)Systemen (das limbischen System feuert ungehindert Gefühle, das deklarative Gedächtnis liefert zuhauf Inhalte, der Hippocampus vermindert seine Tätigkeit, usw.)? Wie lässt sich dann aber erklären, dass jeder Trip eine Geschichte erzählt, die - zumindest im Nachhinein betrachtet - schlüssig und sinnhaft erscheint und nicht selten mit dem Gefühl verbunden wird, dass genau diese Erfahrung zum gegenwärtigen Zeitpunkt notwendig war, ja hat so kommen müssen, um im Leben weiterzukommen? Wie erklären sich Phänomene wie Telepathie, kosmisches Bewusstsein, Wiedererleben von Kindheitserlebnissen und -traumata?
Die schier unendliche Vielzahl und Vielseitigkeit der Trip-Erlebnisse und die damit verbundenen Aufwirkungen auf zahlreiche individuelle Schicksale lassen sich kaum erahnen, werden aber zumindest ansatzweise in den Berichten von Stanislav Grof deutlich. Nicht zuletzt die Erlebnisse jener wundersamen Welt sind es, die, angesichts der nüchternen wissenschaftlichen Betrachtung, den Menschen eine Ahnung vermittelt, unsere Welt verberge eine viel tiefere oder höhere Wahrheit, als das von Menschen erschaffene Weltbild vorgibt. Und möglicherweise ist der durch Psychedelika zugängliche Bewusstseinszustand sogar die Grundlage religiösen Glaubens, der im Laufe der Evolution eine Verselbstständigung und Entfremdung vom eigentlichen Kern erfahren hat, in seinen Wurzeln aber vielleicht auf derartige Erfahrungen zurückzuführen ist.

Mich würde interessieren, wie Ihr darüber denkt, was Ihr zu den genauen Wirkmechanismen psychedelischer Substanzen im Gehirn wisst, welche Erfahrungen Ihr gemacht habt und wie Ihr Euch diese mit nüchternen Verstand erklären könnt. Denn oftmals bin ich schon froh, wenn in Dokumentationen z. B. über LSD zumindest im Ansatz etwas über die geistige Komponente berichtet wird und nicht wieder die gesamte Komplexität auf wenige, eher unbedeutende Einzelheiten reduziert wird, die dann unter dem Überbegriff "künstliche Psychose" präsentiert werden.

Es grüßt Euch,
Yagé :bow:
Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.

Re: Das Erweiterte Bewusstsein im Lichte der Wissenschaft

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Guten Tag liebes Forum ,

soeben erst angemeldet fand ich diesen schönen Denkansatz und möchte (auch wenn es sich um einen älteren Thread) handelt meinen ersten Senf beitragen.

Zunächst behandelt der TE hier ja die Neurologischen Prozesse (Stoffwechsel, Filterfunktion) welche erstmal grundsätzliche Erklärungsmodelle liefern. Ich denke jeder der sich für die Thematik interessiert hat hier rudimentäre Kenntnisse weshalb ich nicht weiter darauf eingehen möchte. Soweit ich es verstanden habe geht es dem TE ja auch genau um das was hierüber hinaus geht und nicht durch Botenstoffe erklärt werden kann.

Ich denke das innerhalb der Signatur die Antwort auf die Fragen zu finden ist. Ich beziehe mich erstmal auf folgendes:
Yagé hat geschrieben: Wie lässt sich dann aber erklären, dass jeder Trip eine Geschichte erzählt, die - zumindest im Nachhinein betrachtet - schlüssig und sinnhaft erscheint und nicht selten mit dem Gefühl verbunden wird, dass genau diese Erfahrung zum gegenwärtigen Zeitpunkt notwendig war, ja hat so kommen müssen, um im Leben weiterzukommen?
Yagé hat geschrieben: "Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit."
Alles was wir sind und unser Verständniss von uns selbst definiert sich nur über unsere Psyche. Wir sind das Produkt unserer eigenen, persönlichen und subjektiven Geschichte. Laut Eisbergmodell erleben wir unser selbst nur zu 20 % Bewusst. 80 % Prozent liegen (ähnlich dem Eisberg) unter der Oberfläche und bilden das Unterbewusstsein welches unser Handeln, Denken und Leben lenkt und wohin wir innerhalb einer psychedelischen Reise reisen. Aus diesem Blickwinkel sind wir tatsächlich sowas wie fremdgesteuert. Ob wir uns das eingestehen wollen oder nicht. (Siehe Strukturmodell der Psyche)

Rein Psychisch gesehen ist es dementsprechend vollkommen verständlich, sogar notwendig, das erlebte zu integrieren. Dies erleben wir mitunter sogar als "automatisch" ablaufenden Prozess, im Falle eines Bad Trips wird die Verarbeitung wahrscheinlich etwas "problematischer" ablaufen. Wichtig ist hier aber zu verstehen (und zu akzeptieren) das unsere Psyche unser Erleben so für uns umdeutet das es Sinn macht, Verständlich und "logisch" ist.

Ebenso kann / wird erlebtes teilweise als "von außen gemacht" erlebt weil wir uns gar nicht vorstellen können was unser Unterbewusstsein, auch ohne Psychedelika, zu leisten im Stande ist. (Allen Interessierten kann ich hier nur empfehlen sich etwas mit Psychopatholigischen Symptomen zu beschäftigen und ihr werdet sehen dass eigentlich alle Erlebnisse auch von menschen in Psychtoschen Zuständen beschrieben werden kann)

Das Wort Psychose ist ein sehr negativ und undiffernzierter Begriff, da muss ich absolut rechtgeben. Die Stigmatisierung von Psychisch Kranken trägt auch viel dazu bei das Psychedelika verteufelt wurden / werden. Allerdings stammt dieses Denken natürlich noch aus einer älteren Zeit. Heutzutage werden Zusammenhänge zwischen Schizophrenie und Kreativität erforscht; ausserkörperliche Erfahrungen können "impliziert" werden; Neurologische Ähnlichkeit zwischen Meditierenden Mönchen und Psychedelika Konsumenten ; DMT Ausschüttung im Schlaf (traum), Ähnlichkeit zwischen Psylocibin Konsumenten und Träumenden... um nur ein paar Stichworte zu nennen.

Insbesondere dem Endogenen DMT muss hier denke ich eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden, auch bei extremen Erfahrungen mit anderen Psychedelika könnte das Gehirn doch zusätzlich DMT ausschütten... Das Stichwort Nahtoderfahrung ist hier auch zu berücksichtigen. (hierzu spannend das Buch DMT-Molekül des Bewusstseins)

Ich weiß, jeder der schon mal eine Psychedelische Erfahrung erlebt hat, wird sich kaum mit einer Psychischen / Biologischen Erklärung zufrieden stellen.
Ich selber (spirituell suchender) wünschte mir lange Zeit eine etwas "mystischere" , "transzendentere" Antwort. Allerdings schliesst sich das heute gegenseitig nicht mehr aus. Wo alte Kulturen von Pflanzengeistern sprechen, sprechen wir westlichen Kulturen von Wirkstoffen. Ähnlich könnte man es mit Entitäten und Archetypen verstehen. Ein anderes Wort für den selben Begriff.
Insbesondere wenn man die Erkenntnisse der "neuen Physik" in die Betrachtung einbezieht bestehen hier nur noch "übersetzungsschwierigkeiten": in erster Linie leider auf unserer Seite ...

Ich empfehle bezüglich der Psychischen Komponente folgende Lektüre:

- Gerald Hüther - Die Macht der inneren Bilder
- Alfred Adler - Menschenkenntniss

Dies sind beides gut zu lesende Bücher über die "Funktionsweise" der Psyche und geben sehr gute Denkanstöße.

Bezüglich "neuen Physik" kann ich das gesamte Werk von Hans Peter Dürr empfehlen.

Wenn man dies alles durchdacht hat landet man (meiner meinung nach) zwangsläufig beim Lehrinhalt des Buddhismus.
Dies war zugebenermassen nicht das was ich mir erwünscht hatte (Erklärungstheoretisch) aber letzten Endes geht es uns ja darum irgendwann, irgendwas in richtung "wahrheit" zu finden. Das Buddhistische Konzept ist wahrscheinlich das was der (wenn es diese gibt) wahrheit am nähesten kommt. Auch wenn wir uns eventuell etwas persönlichere Erklärungen (Stichwort Seele) wünschen würden ....

Wahrscheinlich ist dieses Streben nach Persönlichkeit aber auch nur ein Produkt unseres "ES" ....

Freue mich auf eure Meinungen...

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